Jena den 7. September
1794
Mit
Freuden
nehme ich Ihre gütige Einladung nach W. an, doch mit der
ernstlichen Bitte, daß Sie in keinem einzigen Stück Ihrer
häuslichen Ordnung auf mich rechnen mögen, denn leider
nötigen mich meine Krämpfe gewöhnlich, den ganzen
Morgen dem Schlaf zu widmen, weil sie mir des Nachts keine Ruhe lassen,
und überhaupt wird es mir nie so gut, auch den Tag über auf
eine b e s t i m m t e Stunde
sicher zählen zu dürfen. Sie werden mir
also erlauben, mich in Ihrem Hause als einen völlig Fremden zu
betrachten, auf den nicht geachtet wird, und dadurch, daß ich
mich ganz isoliere, der Verlegenheit zu entgehen, jemand anders von
meinem Befinden abhängen zu lassen. Die Ordnung, die jedem andern
Menschen wohl macht, ist mein gefährlichster Feind, denn ich darf
nur in einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes
vornehmen m ü s s e n, so
bin ich sicher, daß es mir nicht möglich sein wird.
Entschuldigen Sie diese Präliminarien, die ich notwendigerweise
vorhergehen lassen mußte, um meine Existenz bei Ihnen auch nur
möglich zu machen. Ich bitte bloß um die leidige Freiheit,
bei Ihnen krank sein zu dürfen.
Schon
ging
ich damit um, Ihnen einen Aufenthalt in meinem Hause anzubieten, als
ich Ihre Einladung erhielt. Meine Frau ist mit dem Kinde auf drei
Wochen nach Rudolstadt, um den Blattern auszuweichen, die Hr. v.
Humboldt seinem Kleinen inokulieren ließ. Ich bin ganz allein
und könnte Ihnen eine bequeme Wohnung einräumen. Außer
Humboldt sehe ich selten jemand, und seit langer Zeit kommt keine
Metaphysik über meine Schwelle.
Mit
Ramdohrs
Charis ist es mir sonderbar ergangen. Beim ersten Durchblättern
hat mir vor seiner närrischen Schreibart und vor seiner horriblen
Philosophie gegraut, und ich schickte ihn über Hals und Kopf dem
Buchhändler wieder. Als ich nachher in einer gelehrten Zeitung
einige Stellen aus seiner Schrift über die niederländische
Schule angeführt fand, gewann ich ein besseres Vertrauen zu ihm
und nahm seine Charis wieder vor, welche mir nicht ganz unnütz
gewesen ist. Was er im Allgemeinen über die Empfindungen, den
Geschmack und die Schönheit sagt, ist freilich höchst
unbefriedigend und, um nicht etwas Schlimmeres zu sagen, eine wahre
reichsfreiherrliche Philosophie; aber den empirischen Teil seines
Buchs, wo er von dem Charakteristischen der verschiedenen Künste
redet und einer jeden ihre Sphäre und ihre Grenzen bestimmt, habe
ich sehr brauchbar gefunden. Man sieht, daß er hier in seiner
Sphäre ist, und durch einen langen Aufenthalt unter Kunstwerken
sich eine, gewiß nicht gemeine, Fertigkeit des Geschmacks
erworben hat. Hier in diesem Teile spricht der unterrichtete Mann,
der, wo nicht eine entscheidende, doch eine mitzählende Stimme
hat. Aber es kann wohl sein, daß er den Wert, den er hier
für mich notwendig haben mußte, für Sie völlig
verliert, weil die Erfahrungen, auf die er sich stütz, Ihnen etwas
Bekanntes sind, und Sie also schlechterdings nichts Neues bei ihm
vorfinden konnten. Gerade das, was Sie eigentlich suchten, ist ihm im
höchsten Grade verunglückt, und was ihm geglückt ist,
brauchen Sie nicht. Es sollte mich wundern, wenn ihn die Kantianer
ruhig abziehen ließen, und die Gegner dieser Philosophie nicht
ihre Partei durch ihn zu verstärken suchten.
Da Sie
doch
einmal jenes Bruchstück von mir über das Erhabene gelesen
haben, so lege ich hier den Anfang bei, wo Sie vielleicht einige Ideen
finden, die über den ästhetischen Ausdruck der Leidenschaft
etwas bestimmen können. Einige frühere Aufsätze von mir
über ästhetische Gegenstände befriedigen mich nicht
genug, um sie Ihnen vorzulegen, und einige spätere, die noch
ungedruckt sind, werde ich mitbringen. Vielleicht interessiert Sie eine
Rezension von mir über Matthissons
Gedichte in der A. L. Z., die in
dieser Woche wird ausgegeben werden. Bei der Anarchie, welche noch
immer in der poetischen Kritik herrscht, und bei dem gänzlichen
Mangel objektiver Geschmacksgesetze befindet sich der Kunstrichter
immer in großer Verlegenheit, wenn er seine Behauptung durch
Gründe unterstützen will; denn kein Gesetzbuch ist da, worauf
er sich berufen könnte. Will er ehrlich sein, so muß er
entweder gar schweigen, oder er muß (was man auch nicht immer
gerne hat) zugleich der Gesetzgeber und der Richter sein. Ich habe in
jener Rezension die letzte Partei ergriffen, und mit welchem Rechte
oder Glück, das möchte ich am liebsten von Ihnen hören.
Ich
erhalte
soeben die Rezension und lege sie bei.
Fr. Schiller
18 An
Schiller [10]
Haben Sie
Dank für die Zusage, kommen zu wollen. Eine völlige Freiheit
nach Ihrer Weise zu leben werden Sie finden. Haben Sie die Güte
mir den Tag anzuzeigen wenn Sie kommen, damit ich mich einrichte.
Vielleicht besucht uns Herr v. Humboldt einmal,
vielleicht gehe ich mit Ihnen zurück. Doch wollen wir auch alles
dies dem Genio des Tags überlassen. Haben Sie C h a r
i s, so bringen Sie das Buch mit.
Einige schöne Landschaften, die eben aus Neapel
kommen, werden uns beim Gespräch über diese Materie zur Seite
stehen.
Leben Sie recht wohl und empfehlen mich den Ihrigen.
Weimar, den 10. September 1794
Goethe
Soeben
erhalte einige Exemplare der englischen Iphigenie und lege eines bei.
19-20 An
Goethe [11]
Jena, den 12. September 1794
Sie haben mir, vom 14ten an, einen Tag zu bestimmen
überlassen. Ich werde also, mit Ihrer Erlaubnis, Sonntag
nachmittag bei Ihnen eintreffen, weil ich so wenig als möglich von
dem Vergnügen, das Sie mir bereiten, verlieren möchte. Herr
v. Humboldt, den Ihre Einladung sehr erfreut, wird mich begleiten, um
einige Stunden mit Ihnen zu verleben.
Ramdohr war vor einigen Tagen hier, und hat sich
wahrscheinlich auch bei Ihnen gemeldet. Wie er mir sagt, schreibt er
jetzt an einem Buch über die L i e b e, worin
bewiesen sein wird, daß reine Liebe nur bei den Griechen
stattgefunden habe. Seine Ideen über Schönheit holt er
ziemlich tief von unten herauf, denn er ruft dabei den Geschlechtstrieb
zu Hilfe.
Die englische Iphigenia erfreute mich sehr. So viel
ich davon urteilen kann, paßt diese fremde Kleidung ihr gut an,
und man wird lebhaft an die große Verwandtschaft beider Sprachen
erinnert.
Friedrich
Jacobi will mit an den Horen arbeiten, welches unsern Kreis auf
eine angenehme Art erweitert. Mir ist er ein sehr interessantes
Individuum, obgleich ich gestehen muß, daß ich mir seine
Produkte nicht assimilieren kann.
Charis ist hier nirgends zu bekommen, aber eine
Abhandlung von Maimon
über den Schönheitsbegriff, die lesenswert ist, will ich
mitbringen.
Meine Frau trägt mir auf, Ihnen recht viel
freundschaftliches zu sagen. Ich sende ihr die englische Iphigenia, was
ihr große Freude machen wird.
Schiller
20-21 An
Goethe [12]
Jena 29. September 1794
Ich sehe mich wieder hier, aber mit meinem Sinn bin
ich noch immer in Weimar. Es wird mir Zeit kosten, alle die Ideen zu
entwirren, die Sie in mir aufgeregt haben; aber keine einzige, hoffe
ich, soll verloren sein. Es war meine Absicht, diese vierzehn Tage
bloß dazu anzuwenden, so viel von Ihnen zu empfangen, als meine
Rezeptivität erlaubt; die Zeit wird es nun lehren, ob diese
Aussaat bei mir aufgehen wird.
Bei meiner Zurückkunft fand ich einen Brief von
unserm Horenverleger, der voll Eifer und Entschlossenheit ist, das
große Werk bald zu beginnen. Ich hatte ihm absichtlich noch
einmal alle Schwierigkeiten und alle möglichen Gefahren dieses
Unternehmens vorgestellt, um ihm Gelegenheit zu geben, mit
möglichster Überlegung diesen Schritt zu tun. Er findet aber,
nach Erwägung aller Umstände, daß keine Unternehmung
versprechender sein kann, und hat eine genaue Abrechnung mit seinen
Kräften gehalten. Auf seine unermüdete Tätigkeit in
Verbreitung des Journals, so wie auf seine Pünktlichkeit im
Bezahlen können wir zählen.
Er äußert den Wunsch, daß wir
seinem Affocié, einem jungen Gelehrten, in unserm Ausschuß
eine konsultative Stimme geben möchten. Ich kann es ihm nicht
verargen, daß er in dem Senat, der über seinen Geldbeutel
disponieren soll, gern einen guten Freund haben möchte. Dazu
kommt, daß dieser junge Mann, der sich Zahn
nennt, zu der Handelskompagnie in Calw gehört, die das Cottaische
Unternehmen deckt, und die so beträchtlich ist, daß man
schon bei mehreren Extremitäten in Würtemberg auf ihren
Kredit gerechnet hat. Ich glaube daher, daß man wohl tut, diesen
Mann so sehr als möglich in das Interesse unsrer Unternehmung zu
ziehen, und ihm also wohl eine ratgebende Stimme in unserm
Ausschuß zugestehen kann. Weil dies ein Geschäft betrifft,
das ad Acta kommt, so bitte
ich Sie, beifolgendes Blatt, wenn Sie mit dem Inhalt einverstanden
sind, zu unterschreiben.
Da ich nächster Tage an Herrn Arends schreiben
will, so ersuche ich Sie, mir seine Adresse gütigst mitzuteilen.
Sie sprachen neulich davon, daß Sie Herrn Hirt in Rom veranlassen
wollten, uns das Neueste, was im artistischen Fach in Italien vorgeht,
zu kommunizieren. Dies würde gewiß nützlich sein, und
ich bitte, gelegentlich daran zu denken.
Die Luft ist heute so drückend, daß ich
es bei diesem Redaktionsgeschäfte bewenden lassen muß. Herr
v. Ramdohr hat hier, wie ich höre, über den Empfang, den er
in Dresden bei Ihnen fand, nicht zum besten gesprochen. Er ist hier so
sehr für einen Kunstkenner bekannt, daß ihn Loder mit sich
zum Tischler führte, um eine ganz gewöhnliche Kommode, die er
da machen läßt, in Augenschein zu nehmen.
Schiller
22 An
Schiller [13]
Wir wissen
nun, mein Wertester, aus unsrer vierzehntägigen Konferenz:
daß wir in Prinzipien einig sind und daß die Kreise unsrer
Empfindens, Denkens und Wirkens teils koinzidieren, teils sich
berühren; daraus wird sich für beide gar mancherlei Gutes
ergeben. Für die Horen habe fortgefahren zu denken und angefangen
zu arbeiten; besonders sinne ich auf Vehikel und Masken, wodurch und
unter welchen wir dem Publico manches zuschieben können. Gegen die
Aufnahme des Herrn Zahns habe nichts zu erinnern, gebe aber, da ich
wünschte, daß Sie alle Expeditionen allein unterschrieben,
meine Beistimmung auf einem besonderen Blatt zu den Akten.
Leben sie recht wohl und vergessen nicht ganz meines
diätetischen Rates. Ich hoffe bald etwas schicken zu können
und erwarte Ihre Anregung, über diese oder jene Gegenstände
zu schreiben.
Weimar, den 1. Oktober 1794
Goethe
Herrn Arends wird Ihr Brief nicht verfehlen, wenn
Sie nur B a u m e i s t e r auf die Adresse setzen;
er ist in Hamburg bekannt genug.
Hirt und Albrecht vergesse ich nicht. Danken Sie
Herrn von Humboldt für die Rezension des Woldemars; ich habe sie
so eben mit dem größten Anteil gelesen.
22-23 An
Schiller [14]
Daß
die Herausgeber der Horen Herrn Zahn aus Tübingen in ihre
Sozietät aufnehmen und demselben ein konsultatives Votum in den
Angelegenheiten welche diese Monatsschrift betreffen, bewilligen, finde
ich den Umständen ganz angemessen. Es versteht sich, daß
dieses Verhältnis nur so lange dauern kann, als Herr Cotta
Verleger ist.
Weimar, den 1. Oktober 1794
Goethe
23 An
Schiller [15]
Da das
gerettete Venedig nicht nächsten Sonnabend, sondern erst Dienstag
gegeben wird; auch nicht eben von dem Gewicht ist, daß es Sie
herüberziehen sollte; so wollte ich Ihnen überlassen: ob Sie
nicht mit Ihrer lieben Gattin Sonnabend den 18ten herüberkommen
wollten, wo wir Don Carlos geben? Wenn Sie auch nicht ganz von der
Aufführung erbaut werden sollten, so wäre doch das Talent
unsrer Schauspieler, zu dem bekannten Zwecke, bei dieser Gelegenheit am
sichersten zu prüfen. Leben Sie recht wohl und gedenken mein.
Weimar, den 8. Oktober 1794
Goethe
23-24 An
Goethe [16]
Jena, den 8. Oktober 1794
Entschuldigen Sie das lange Ausbleiben dieses
Briefes, der unsre Korrespondenz eröffnen soll. Einige dringende
Geschäfte für die Lit. Zeitung und de Thalia, die vorher
abgetan sein mußten, haben ihn gegen meinen Wunsch und Willen
verzögert.
Es
wird nun auf Sie ankommen, ob der Pfad, den ich hier einschlage, ferner
verfolgt werden soll. Mir schien es nötig, da wir uns in der Folge
so oft darauf geführt sehen könnten, unsre Begriffe über
das Wesen des Schönen vorderhand ins klare zu setzen.
Mit
Hofrat Schütz habe ich unsre Angelegenheit ziemlich in Ordnung
gebracht. Der Hauptanstoß, und eigentlich der einzige, ist die
große Kostenvermehrung für die Herren Redakteure, wenn sie
von dem nämlichen Buche jährlich zwölf Rezensionen
liefern sollen, da sie nur zu einer einzigen eigentlich verpflichtet
sind. Es wird aber wahrscheinlich arrangiert werden können,
daß der Verleger der Horen die Hälfte der Unkosten ihnen
abnimmt. Durch diese Auskunft hoffen sie auch den übrigen
Herausgebern von Journalen, die sonst eine gleiche Begünstigung
fordern könnten, den Mund zu stopfen.
Nach
Ihrem Roman, den Sie mir kommunizieren wollten, verlangt mich sehr.
Schütz hat mir angetragen, diesen Teil zu rezensieren, und ich bin
sehr geneigt, ihm zu willfahren; besonders da ich ihn ungern in andre
Hände kommen sehe.
Humboldts und meine Frau begrüßen Sie freundschaftlich, und
ich bin Ihnen nahe mit allem, was in mir lebt und denkt.
Schiller
24 An
Goethe [17]
Jena, den 17. Oktober 1794
Wenn ich meiner Gesundheit trauen darf, welche durch
das schlechte Wetter wieder beunruhigt worden ist, so komme ich morgen
nachmittag mit meiner Frau nach Weimar; doch bitte ich Sie, mich nicht
eigentlich zu erwarten, weil jetzt noch wenig Wahrscheinlichkeit dazu
vorhanden ist.
Ich
gebe jetzt meinen Briefen an den Pr. v. Aug. die letzte Hand, weil ich
den Anfang derselben für das erste Stück der Horen bestimmt
habe. Künftigen Dienstag hoffe ich sie Ihnen zusenden zu
können. Mein erstes wird alsdann sein, die neulich berührte
Materie fortzusetzen, die ich an einer gefährlichen Stelle fallen
ließ. Den Elegien und der Epistel sehen wir mit großem
Verlangen entgegen.
Alles empfiehlt sich Ihnen hier aufs beste.
Schiller
25 An
Schiller [18]
Wahrscheinlich wären Sie mit der Aufführung des Carlos nicht
ganz unzufrieden gewesen, wenn wir das Vergnügen gehabt
hätten, Sie hier zu sehen; wenden Sie nur manchmal Ihre Gedanken
den Malteser Rittern zu.
Zu
Ende dieser Woche sende ich wahrscheinlich die Elegien; sie sind zum
Teil schon abgeschrieben, nur halten mich noch einige widerspenstige
Verse hier und da auf.
Gegen
Ihren ersten Brief erhalten Sie auch einige Blätter; schon habe
ich sie diktiert, muß aber einiges umschreiben. Ich komme mir gar
wunderlich vor, wenn ich theoretisieren soll.
Gedenken Sie mein mit den Ihrigen.
Herrn
Gerning, der diesen Brief überbringt, gönnen Sie ja wohl eine
Viertelstunde.
Leben
Sie recht wohl.
Weimar, den 19. Oktober 1794.
Goethe
25-27 An
Schiller [19]
Ihr Brief
hat mich noch mehr in der Überzeugung bestärkt, die mir unsre
Unterredung hinterlassen hatte, daß wir nämlich an wichtigen
Gegenständen ein gleiches Interesse haben, und daß wir,
indem wir von ganz verschiedenen Seiten auf dieselben losgehen, doch
bei denselben in gerader Richtung zusammentreffen und was zu unsrer
wechselseitigen Zufriedenheit darüber unterhalten können.
Der größte Teil Ihres Briefes
enthält nicht allein meine Gedanken und Gesinnungen, sondern er
entwickelt sie auch auf eine Weise, wie ich es selbst kaum getan
hätte. Die Bezeichnung der beiden Wege, die unsre Untersuchung
genommen, die Warnung vor der doppelten Gefahr, das von einem
Porträt genommene Beispiel, und was zunächst darauf folgt,
ist von der Art, daß ich auch selbst Wort und Ausdruck
unterschreiben könnte; der Gedanke, daß eine idealische
Gestalt an nichts erinnern müsse, scheint mir sehr fruchtbar, und
der Versuch, aufzufinden, was sowohl am Gegenstand die
Schönheit mindern oder aufheben, als was den Beobachter hindern
könne, scheint mir sehr weislich angestellt. Wenn Sie nun aber die
anscheinenden Ketzereien vorlegen, daß Bestimmtheit sich
nicht mit der Schönheit vertrage, ferner daß Freiheit und
Bestimmtheit nicht notwendige Bedingungen der Schönheit, sondern
notwendige Bedingungen unsers Wohlgefallens an der Schönheit
seien, so muß ich erst abwarten, bis Sie mir diese Rätsel
auflösen, ob ich gleich aus dem, was zwischen beiden Sätzen
inne steht, ohngefähr den Weg erraten kann, den Sie nehmen
möchten.
Lassen Sie mich dagegen auf meiner Seite in der
Region bleiben, die ich durchsuche und durchforsche, lassen Sie mich,
wie ich immer getan, von Skulptur und Malerei besonders ausgehen, um zu
fragen, was denn der Künstler zu tun habe, damit, nach seinen
vielfältigen einzelnen Bemühungen, der Zuschauer
endlich doch das Ganze sehe und ausrufe: es ist schön!
Da wir beide bekennen, daß wir dasjenige noch
nicht wissen, wenigstens noch nicht deutlich und bestimmt wissen, wovon
wir uns soeben unterhalten, sondern vielmehr suchen; da wir einander
nicht belehren wollen, sondern einer dem andern nachzuhelfen und ihn zu
warnen denkt, wenn er, wie es nur leider gewöhnlich geschieht, zu
einseitig werden sollte: so lassen Sie mich vollkommene Kunstwerke
gänzlich aus den Augen setzen, lassen Sie uns erst versuchen, wie
wir gute Künstler bilden, erwarten, daß sich unter diesen
ein Genie finde, das sich selbst vollende; lassen Sie uns ihm
nachspüren, wie es sich selbst unbewußt dabei zu Werke gehe,
und wie das schönste Kunstprodukt, eben wie ein schönes
Naturprodukt, zuletzt nur gleichsam durch ein unaussprechliches Wunder
zu entstehen scheine.
Lassen Sie mich, bei meinen Erklärungen, das
Wort Kunst brauchen, wenn ich immer gleich nur bildende Kunst,
besonders Skulptur und Malerei hierunter verstehe; daß manches
auf andere Künste passe, daß manches gemein sein werde,
versteht sich von selbst. Noch eins lassen Sie mich erinnern: was sich
gewissermaßen von selbst verstehet: daß hier nicht die Rede
sei, neue und unbekannte oder unerhörte Dinge zu sagen, sondern
das Bekannte, das längst Ausgeübte so darzustellen, wie es
sich in unsrer Gemütsart sammle.
Indem wir nur vorerst gute Künstler bilden
wollen, setzen wir in unsern Schülern ein mäßiges
Naturell voraus: ein Auge, das die Gegenstände rein sieht, ein
Gemüt, das geneigt sei, sie zu lieben, einen mechanischen Trieb
der Hand, dasjenige, das das Auge empfängt, gleichsam unmittelbar
in irgend einer Materie wieder hinzugeben; und so fragen wir denn: wie
wir diese bilden wollen? damit sie in Staub gesetzt würden, sich
über unsre Erwartung in der Folge selbst auszubilden.
Leonardo da Vinci fängt seine Schrift über
die bildende Kunst mit den sonderbaren Worten an: wenn ein Schüler
in der Perspektive und Anatomie sich perfektioniert hat, so mag er
einen Meister aufsuchen.
Lassen Sie mich auf gleiche Weise annehmen,
daß unsre Schüler, was sie sehen, schon das auf eine
leidliche Weise nachzubilden wissen, lassen Sie uns sodann unsre
Schüler in verschiedene Klassen einteilen und sehen, was wir sie
darinnen zu lehren haben; lassen Sie uns streng verfahren und keinen
eine Stufe weiter rücken, bis er es verdient und sich diese Stufe
selbst erobert hat. Künstler, die zu schnell und ohne Vorbereitung
in das Höhere der Kunst gerückt werden, gleichen den
Menschen, die vom Glücke zu schnell erhoben werden: sie wissen
sich in ihren zustand nicht zu finden, können von dem, was ihnen
zugeeignet wird, selten mehr als einen (mehr als) oberflächlichen
Gebrauch machen.
Oktober 1794 [Unvollendet]
Goethe
28-29 An
Goethe [20]
Jena, den 20. Oktober 1794
Hier
mache ich denn also den Anfang, den Tanz der Horen zu beginnen, und
sende Ihnen, was von meinen Briefen an den Prinzen für das erste
Stück bestimmt ist. Ohne Zweifel wird es durch Ihre und meine
Beiträge bis auf wenige Blätter voll werden. Vielleicht
könnten wir einen kleinen Beitrag von Herdern gleich für das
erste Stück erhalten, welches mir gar angenehm wäre.
Übrigens ist, wenn gleich keine Mannigfaltigkeit der Autoren, doch
Mannigfaltigkeit der Materien genug in dem ersten Stücke, wie Sie
finden werden.
Mein
Debüt in den Horen ist zum wenigsten kein captatio benevolentiae bei dem
Publikum. Ich konnte es aber nicht schonender behandeln, und ich bin
gewiß, daß Sie in diesem Stücke meiner Meinung sind.
Ich wünschte, Sie wären es auch in den übrigen, denn ich
muß gestehen, daß meine wahre ernstliche Meinung in diesen
Briefen spricht. Ich habe über den politischen Jammer noch nie
eine Feder angesetzt, und was ich in diesen Briefen davon sagte,
geschah bloß, um in alle Ewigkeit nichts mehr davon zu sagen;
aber ich glaube, daß das Bekenntnis, das ich darin ablege, nicht
ganz überflüssig ist. So verscheiden die Werkzeuge auch sind,
mit denen Sie und ich die Welt anfassen, und so verschieden die
offensiven und defensiven Waffen, die wir führen, so glaube ich
doch, daß wir auf Einen Hauptpunkt zielen. Sie werden in diesen
Briefen Ihr Portrait finden, worunter ich gern Ihren Namen geschrieben
hätte, wenn ich es nicht haßte, dem Gefühl denkender
Leser vorzugreifen. Keiner, dessen Urteil für Sie Wert haben kann,
wird es verkennen, denn ich weiß, daß ich es gut
gefaßt und treffend genug gezeichnet habe.
Es
würde mir lieb sein, wenn Sie Zeit fänden, das Manuskript
bald zu lesen, und es dann Herdern schickten, den ich prävenieren
werde; denn es soll ja, nach unsren Statuten, noch in mehrere
Hände, ehe es abgeschickt werden kann, und wir wollen doch bald
Anstalt zum Abdruck der Horen machen.
Wissen
Sie vielleicht schon, daß Engel in Berlin seine Theaterdirektion
niedergelegt hat, und jetzt in Schwerin, ganz außer Diensten,
lebt? Er hat von jährlich 1500 Rtlrn., die er als Besoldung zog,
ganz und gar nichts behalten. Wie ich höre, ist er jetzt sehr
fleißig mit seiner Feder, und mir hat er nächstens einen
Aufsatz zu schicken versprochen.
Ich
habe jetzt wegen des Musenalmanachs, von dem ich Ihnen neulich in W.
schon erzählte, mit dem Juden-Buchhändler ordentlich
kontrahiert, und er wird künftige Michaelismesse erscheinen. Auf
Ihre Güte, die mich nicht im Stiche lassen wird, zähle ich
dabei sehr. Mir ist diese Entreprise, dem Geschäfte nach, eine
sehr unbedeutende Vermehrung der Last, aber für meine
ökonomischen Zwecke desto glücklicher, weil ich sie auch bei
einer schwachen Gesundheit fortführen und dadurch mein
Unabhängigkeit sichern kann.
Mit
großem Verlangen sehe ich allem entgegen, was Ihr letzter Brief
mir verspricht.
Wir
alle empfehlen uns Ihrem Andenken bestens.
Schiller
29-31 An
Schiller [21]
Das mir
übersandte Manuskript habe sogleich mit großem
Vergnügen gelesen; ich schlürfte es auf einen Zug hinunter.
Wie uns ein köstlicher, unsrer Natur analoger Trank willig
hinunterschleicht und auf der Zunge schon durch gute Stimmung des
Nervensystems seine heilsame Wirkung zeigt, so waren mir diese Briefe
angenehm und wohltätig, und wie sollte es anders sein, da ich das,
was ich für recht seit langer Zeit erkannte, was ich teils lebte,
teils zu leben wünschte, auf eine so zusammenhängende und
edle Weise vorgetragen fand? Auch Meyer
hat seine große Freude daran, und sein reiner, unbestechlicher
Blick war mir eine gute Gewähr. In diesem behaglichen Zustande
hätte mich Herders beiliegendes Billet beinahe gestört, der
uns, die wir an dieser Vorstellungsart Freude haben, einer
Einseitigkeit beschuldigen möchte. Da man aber im Reiche der
Erscheinungen es überhaupt nicht so genau nehmen darf und es immer
schon tröstlich genug ist, mit einer Anzahl geprüfter
Menschen, eher zum Nutzen als Schaden seiner selbst und seiner
Zeitgenossen, zu irren; so wollen wir getrost und unverrückt so
fort leben und wirken und uns in unserm Sein und Wollen ein Ganzes
denken, um unser Stückwerk nur einigermaßen vollständig
zu machen. Die Briefe behalte ich noch einige Tage, um sie nochmals mit
Meyern zu genießen.
Hier
folgen die Elegien. Ich wünschte, daß Sie sie nicht aus
Händen gäben, sondern sie denen, die noch über ihre
Admissibilität zu urteilen haben, vorläsen. Alsdann erbitte
ich mir sie zurück, um vielleicht noch einiges zu retuschieren.
Finden Sie etwas zu erinnern, so bitte ich es anzuzeigen.
Die
Epistel wird abgeschrieben und folgt mit einigen Kleinigkeiten bald;
dann muß ich eine Pause machen, denn das dritte Buch des Romans
fordert meine Aufmerksamkeit. Noch habe ich die Aushängebogen des
ersten nicht; sobald sie anlangen, sind sie bei Ihnen.
Wegen
des Almanachs werde ich Ihnen den Vorschlag tun: ein Büchelchen
Epigramme ein- oder anzurücken. Getrennt bedeuten sie nichts; wir
würden aber wohl aus einigen Hunderten, die mitunter nicht
produzibel sind, doch eine Anzahl auswählen können, die sich
aufeinander beziehen und ein Ganzes bilden. Das nächste Mal
daß wir zusammenkommen, sollen Sie die leichtfertige Brut im
Neste beisammen sehen.
Leben
Sie recht wohl und lassen mich unter den Ihrigen gegenwärtig sein.
Weimar, den 26. Oktober 1794.
Goethe
Schreiben Sie mir doch, was Sie noch etwa zu den Horen von mir
wünschen und w a n n Sie es brauchen. Die
zweite Epistel wird in der ersten Stunde guten Humors auch fertig.
31-34 An
Goethe [22]
Jena, den 28. Oktober 1794
Daß Sie mit meinen Ideen einstimmig und mit
der Ausführung derselben zufrieden sind, erfreut mich nicht wenig,
und dient mir auf dem Wege, den ich betreten habe, zu einer sehr
nötigen Ermunterung. Zwar sollten Dinge, die sich im Felde der
bloßen Vernunft ausmachen lassen, oder sich doch dafür
ausgeben, fest genug auf innern und objektiven Gründen ruhen und
das Kriterium der Wahrheit in sich selber tragen; aber eine solche
Philosophie gibt es noch nicht, und die meinige ist noch weit davon
entfernt. Endlich beruht doch die Hauptsache auf dem Zeugnisse der
Empfindung und bedarf also einer subjektiven Sanktion, die nur die
Beistimmung unbefangener Gemüter ihr verschaffen kann. Meyers
Stimme ist mir hier bedeutend und schätzbar und tröstet mich
über den Widerspruch Herders, der mir meinen Kantischen Glauben,
wie es scheint, nicht verzeihen kann. Ich erwarte auch von den Gegnern
der neuen Philosophie die Duldung nicht, die man einem jeden andern
System, von dem man sich nicht besser überzeugt hätte, sonst
widerfahren lassen möchte; denn die Kantische Philosophie übt
in den Hauptpunkten selbst keine Duldung aus, und trägt einen viel
zu rigoristischen Charakter, als daß eine Akkomodation mit ihr
möglich wäre. Aber dies macht ihr in meinen Augen Ehre, denn
es beweist, wie wenig sie die Willkür vertragen kann. Eine solche
Philosophie will daher auch nicht mit bloßem Kopfschütteln
abgefertigt sein. Im offenen, hellen und zugänglichen Feld der
Untersuchung erbaut sie ihr System, sucht nie den Schatten und
reserviert dem Privatgefühl nichts, aber so, wie sie ihre Nachbarn
behandelt, will sie wieder behandelt sein, und es ist ihr zu verzeihen,
wenn sie nichts als Beweisgründe achtet. Es erschreckt mich gar
nicht, zu denken, daß das Gesetz der Veränderung, vor
welchem kein menschliches und kein göttliches Werk Gnade findet,
auch die Form dieser Philosophie, sowie jede andere, zerstören
wird; aber die Fundamente derselben werden dies Schicksal nicht zu
fürchten haben, denn so alt das Menschengeschlecht ist, und
solange es eine Vernunft gibt, hat man sie stillschweigend anerkannt
und im Ganzen darnach gehandelt.
Mit der Philosophie unsers Freundes Fichte
dürfte es nicht diese Bewandtnis haben. Schon regen sich starke
Gegner in seiner eignen Gemeinde, die es nächstens laut sagen
werden, daß alles auf einen subjektiven Spinozismus
hinausläuft. Er hat einen seiner alten akademischen Freunde, einen
gewissen Weißhuhn, veranlaßt hierher zu ziehen,
wahrscheinlich in der Meinung, sein eigenes Reich durch ihn
auszubreiten. Dieser aber, nach allem, was ich von ihm höre, ein
trefflicher philosophischer Kopf, glaubt schon ein Loch in sein System
gemacht zu haben und wird gegen ihn schreiben. Nach den mündlichen
Äußerungen Fichtes, denn in seinen Buch war noch nicht davon
die Rede, ist das Ich auch durch seine Vorstellungen erschaffend, und
alle Realität ist nur in dem Ich. Die Welt ist ihm nur ein Ball,
den das Ich geworfen hat und den es bei der Reflexion wieder
fängt!! Sonach hätte er seine Gottheit wirklich deklariert,
wie wir neulich erwarteten.
Für die Elegien danken wir Ihnen alle sehr. Es
herrscht darin eine Wärme, eine Zartheit und ein echter
körnigter Dichtergeist, der einem herrlich wohltut unter den
Geburten der jetzigen Dichterwelt. Es ist eine wahre Geistererscheinung
des guten poetischen Genius. Einige kleine Züge habe ich ungern
darin vermißt, doch begreife ich, daß sie aufgeopfert
werden mußten. Über einige Stellen bin ich im Zweifel, den
ich bei der Zurücksendung bemerken will.
Da Sie mich auffordern, Ihnen zu sagen, was ich
für die ersten Stücke noch von Ihrer Hand wünsche, so
erinnere ich Sie an Ihre Idee, die Geschichte des ehrlichen Prokurators
aus dem Boccaz zu bearbeiten. Wie ich schon an sich selbst der
Darstellung vor der Untersuchung den Vorzug gebe, so bin ich hier um so
mehr der Meinung, weil in den drei ersten Stücken der Horen schon
etwas zu viel philosophiert werden dürfte, und an poetischen
Aufsätzen Mangel ist. Wäre dieser Umstand nicht, so
würde ich Sie an den Aufsatz über Landschaftmalerei erinnern.
Nach den jetzigen Arrangements würde zu Anfang des Januars das
dritte Stück der Horen abgeschickt werden müssen. Rechne ich
nun, daß in dem ersten Stück Ihre Elegien und die erste
Epistel, in dem zweiten die zweite Epistel, und was Sie etwa diese
Woche noch schicken, und in dem dritten wieder eine Epistel und die
Geschichte aus dem Boccaz von Ihnen erscheint, so ist jedem dieser drei
Stücke sein Wert schon gewiß.
Ihr gütiges Anerbieten, die Epigramme
betreffend, ist das vortheilhafteste für den Almanach. Auf welche
Art man es anzufangen hat, um sie nicht zu trennen, darüber wird
sich noch sprechen lassen. Vielleicht ginge es doch an, mehrere
Lieferungen daraus zu machen, davon jede doch unabhängig von der
andern bestehen könnte.
Daß Professor Meyer wieder in Weimar ist,
erfreut mich zu hören, und ich bitte Sie, uns recht bald mit
einander in Bekanntschaft zu bringen. Vielleicht entschließt er
sich zu einer kleinen Exkursion hierher, und damit diese auch für
den K ü n s t l e r nicht ganz zwecklos sei, so
habe ich ihm eine Büste von einem deutschen Bildhauer aufzuweisen,
die, wie ich sagen zu können glaube, das Auge des echten
Kunstrichters nicht zu fürchten hat. Vielleicht entschließt
sich Herr Meyer, gleich diesen Winter etwas für die Horen
aufzusetzen.
An die Malteser gehe ich gewiß, sobald ich
meine Briefe, von denen Sie nur den dritten Teil gelesen, und noch
einen kleinen Versuch über das Naive vollendet haben werde; dies
dürfte aber den Rest dieses Jahres noch hinwegnehmen. Für den
Geburtstag der Herzogin kann ich also dieses Stück nicht
versprechen, aber mit Ende des Winters denke ich wohl damit fertig zu
sein. Ich spreche hier wie ein gesunder und rüstiger Mensch, der
über seine Zeit zu gebieten hat; aber bei der Ausführung wird
mich das Nicht-Ich schon erinnern.
Erhalten Sie uns Ihr gütiges Andenken. Sie
leben in dem unsrigen.
Schiller
34 An
Schiller [23]
Hierbei
folgen Ihre Briefe mit Dank zurück. Hatte ich das erstemal sie
bloß als betrachtender Mensch gelesen und dabei v i e
l, ich darf fast sagen v ö l l i g e
Übereinstimmung mit meiner Denkensweise gefunden, so las ich sie
das zweite Mal im praktischen Sinne und beobachtete genau: ob ich etwas
fände, das mich als handelnden Menschen von seinem Wege ableiten
könnte; aber auch da fand ich mich nur gestärkt und
gefördert, und wir wollen uns also mit freiem Zutrauen dieser
Harmonie erfreuen.
Meine
erste Epistel liegt bei, mit einigen Kleinigkeiten. Die zweite mache
ich fertig; die Erzählung soll zu Ende des Jahrs bereit sein und
hoffentlich eine dritte Epistel.
Beiliegender Brief von Maimon nebst dem Aufsatze wird Sie
interessieren. Geben Sie ihn nicht aus der Hand. Vielleicht besuche ich
Sie bald mit Meyer. Leben Sie recht wohl.
Weimar, den 28. Oktober 1794
Goethe
34 An
Schiller [24]
Morgen
frühe gegen 10 Uhr hoffe ich mit Meyern in Jena einzutreffen und
einige vergnügte Tage in Ihrer Nähe zuzubringen. Ich
wünsche, daß ich Sie recht wohl antreffen möge.
Weimar, den 1.
November 1794
Goethe
35 An
Goethe [25]
Jena, den 16. November 1794
Dieses
unholde Wetter, das alle Empfindungswerkzeuge zuschließt, hat
mich in voriger Woche für alles, was Leben heißt,
vernichtet, und mir ist, da ich aus diesem Geistesschlummer wieder zu
mir selbst komme, als ob ich Sie nach einem langen Zwischenraum
wiederfände. Herzlich verlangt mich nach einer freundlichen Spur
von Ihnen. Damit etwas bei Ihnen sei, was mich Ihnen zuweilen
vergegenwärtigt, so gönnen Sie beifolgendem Bilde irgend
einen Platz in Ihrem Hause, welchen Sie wollen, nur nicht d
e n, wo Sie das Reinholdische Porträt begraben haben.
Hier
folgen auch auf Verlangen die Elegien nebst den Stolbergen mit meinem
verbindlichsten Danke zurück. Das erste Manuskript der Horen ist
vorgestern an den Buchhändler abgegangen. Ich habe ihm
geschrieben, daß er den Rest des ersten Stückes in vierzehn
Tagen zu erwarten habe.
Das
Lustspiel, die Witwe, das Sie neulich mitnahmen, erbitte ich mir auf
vierzehn Tage zurück. Es soll in der Thalia abgedruckt werden, mit
welcher Sie es alsdann zurückerhalten, wenn Sie Lust haben,
Gebrauch davon zu machen.
Auf
ein Manuskript von Meyern habe ich diese Woche mit Verlangen gewartet.
Wollen Sie mich in sein Andenken zurückrufen? Herr v. Humboldt
wird auf den nächsten Sonnabend seine Reise nach Erfurt antreten.
Wir
alle empfehlen uns Ihrer freundschaftlichen Erinnerung.
Schiller
35-36 An
Schiller [26]
Hier
schicke ich das Manuskript und wünsche, daß ich das rechte
Maß und den gehörigen Ton möge getroffen haben. Ich
erbitte mir es bald wieder zurück, weil hier und da noch einige
Pinselstriche nötig sind, um gewisse Stellen in ihr Licht zu
setzen. Kann ich die zweite Epistel und die erste Erzählung zum
zweiten Stücke stellen, so wollen wir sie folgen lassen und die
Elegien zum dritten aufheben, wo nicht, so mögen diese voraus. Zu
den kleinen Erzählungen habe ich große Lust, nach der Last,
die einem so ein Pseudo-Epos als der Roman ist, auflegt.
Unger
(der mitunter zu strudeln scheint) schickt mir den Schluß des
ersten Buches und vergißt die Mitte. Sobald die fehlenden sechs
Bogen ankommen, sende ich diesen Prologum.
Herr
v. Humboldt ist neulich zu einer ästhestisch-kritischen Session
gekommen; ich weiß nicht wie sie ihn unterhalten hat.
Mich
verlangt sehr zu hören, wie Sie mit Ihren Arbeiten stehen? noch
mehr, etwas ausgeführt zu lesen.
Sie
erhalten ja wohl die Aushängebogen der Monatschrift, daß wir
ihre Physiognomie früher als das Publikum kennen lernen.
Leben
Sie recht wohl. Ich habe wieder eine Menge Sachen, von denen ich mich
mit Ihnen unterhalten möchte.
Weimar, den 27. November 1794. Abends
Goethe
36-39 An
Goethe [27]
Jena, den 29. November 1794
Sie
haben mich mit der unerwartet schnellen Lieferung des Eingangs zu Ihren
Erzählungen sehr angenehm überrascht, und ich bin Ihnen
doppelt dankbar dafür. Nach meinem Urteil ist das Ganze sehr
zweckmäßig eingeleitet, und besonders finde ich den
strittigen Punkt sehr glücklich ins reine gebracht. Nur ist es
schade, daß der Leser zu wenig auf einmal zu übersehen
bekommt und daher nicht so imstande ist, die notwendigen Beziehungen
des Gesagten auf das Ganze gehörig zu beurteilen. Es wäre
daher zu wünschen gewesen, daß gleich die erste
Erzählung hätte können mitgegeben werden. Aber ich
möchte nicht gerne in meinen Wünschen unbescheiden sein und
Sie veranlassen, Ihre Teilnahme an den Horen als ein Onus zu
betrachten. Ich unterdrücke also diesen Wunsch und versichere
Ihnen bloß, daß, wenn Sie ihn, ohne sich zu
belästigen, realisieren können, Sie mir ein großes
Geschenk machen würden.
Nach
dem Überschlag, den ich gemacht (und ich habe einige Blätter
durch die Worte gezählt), kann das Manuskript nicht mehr als zwei
und einen halben Bogen betragen, daß also noch immer ein ganzer
Bogen zu füllen übrig bleibt. Wenn es auf keine andere Art zu
machen ist, so will ich zu diesem siebenten Bogen Rat schaffen, und ein
Morceau aus der Niederländischen Geschichte, das für sich
interessieren kann, die Belagerung von Antwerpen unter Philipp II., die
viel Merkwürdiges hat, kurz beschreiben. Diese Arbeit macht mir
weniger Mühe, und es würde der kleine Nebenzweck dabei
erreicht, daß schon im ersten Stück das historische Feld
besetzt wäre. Es versteht sich aber, daß dieses Expediens,
wenigstens für das erste Stück, unterbleibt, sobald Hoffnung
da ist, noch mehr von Ihren Erzählungen zu erhalten. Daß die
Erscheinung dieses ersten Stücks nun um eine Woche verzögert
wird, kann freilich nicht vermieden werden; indessen ist das Übel
so groß nicht, und vielleicht können wir es dadurch gut
machen, daß das zweite Stück gleich eine Woche nachher
erscheint.
Weil
ich mich in meiner Annonce an das Publikum auf unsere Keuschheit in
politischen Urteilen berufen werde, so gebe ich Ihnen zu bedenken, ob
an dem, was Sie dem Geheime Rat in den Mund legen, eine Partei des
Publikums, und nicht die am wenigsten zahlreiche, nicht vielleicht
Anstoß nehmen dürfte? Obgleich hier nicht der Autor, sondern
ein Interlokutor spricht, so ist das Gewicht doch auf seiner Seite, und
wir haben uns mehr vor dem was s c h e i n t als
was i s t in acht zu nehmen. Diese Anmerkung kommt
von dem Redakteur. Als bloßer Leser würde ich ein Vorwort
für den Geh. Rat einlegen, daß Sie ihn doch durch den
hitzigen Karl, wenn er sein Unrecht eingesehen, möchten
zurückholen und in unserer Gesellschaft bleiben lassen. Auch
würde ich mich des alten Geistlichen gegen seine unbarmherzige
Gegnerin annehmen, die es ihm fast zu arg macht.
Ich
glaubte aus einigen Zügen, besonders aus einer größeren
Umständlichkeit der Erzählung am Anfange, schließen zu
können, daß Sie die Absicht haben, die Vermutung bei dem
Leser zu erwecken, daß etwas wirklich Vorgefallenes im Spiele
sei. Da Sie im Verlauf der Erzählung ohnehin mit der
Auslegungssucht oft Ihr Spiel treiben werden, so wäre es
wenigstens nicht übel, gleich damit anzufangen und das Vehikel
selbst, in dieser Rücksicht, problematisch zu machen. Sie werden
mir meine eigene Auslegungssucht zugute halten.
Die
Aushängebogen der Horen werden mir von Woche zu Woche geschickt
werden; ich zweifle indes, ob wir vor vierzehn Tagen den ersten zu
erwarten haben.
Die
Sottise von Herrn Unger ist mir sehr verdrießlich; denn ich harre
mit einer wahren Sehnsucht auf diese Schrift. Aber mit nicht weniger
Verlangen würde ich die Bruchstücke von Ihrem Faust, die noch
nicht gedruckt sind, lesen; denn ich gestehe Ihnen, daß mir das,
was ich von diesem Stücke gelesen, der Torso des Herkules ist. Es
herrscht in diesen Szenen eine Kraft und eine Fülle des Genies,
die den besten Meister unverkennbar zeigt, und ich möchte diese
große und kühne Natur, die darin atmet, so weit als
möglich verfolgen.
Herr
v. Humboldt, der sich Ihnen aufs beste empfiehlt, ist noch ganz voll
von dem Eindruck, den Ihre Art, den Homer vorzutragen, auf ihn gemacht
hat, und er hat in uns allen ein solches Verlangen darnach erweckt,
daß wir Ihnen, wenn Sie wieder auf einige Tage hierher kommen,
keine Ruhe lassen werden, bis Sie auch eine solche Sitzung mit uns
halten.
Mit
meinen ästhetischen Briefen ist es bisher sehr langsam gegangen,
aber die Sache erforderte es, und ich kann nun hoffen, daß das
Gebäude in den Fundamenten gut beschaffen ist. Wenn nicht diese
kleine historische Arbeit dazwischen käme, so könnte ich
Ihnen vielleicht in acht bis zehn Tagen eine Lieferung zuschicken.
Alles
bei uns empfiehlt sich Ihrem freundschaftlichen Andenken.
Ganz der Ihrige
Schiller
39-40 An
Schiller [28]
Mir ist
sehr erfreulich, daß Sie mit meinem Prologus im Ganzen und im
Hauptpunkte nicht unzufrieden sind; mehr als diesen kann ich aber
fürs erste Stück nicht liefern. Ich will ihn noch einmal
durchgehen, dem Geheime Rat und Louisen Sordinen auflegen und Carlen
vielleicht noch ein Forte geben, so wird's ja wohl ins gleiche kommen.
Ihr historischer Aufsatz wird dem Stücke gewiß wohltun: es
gewinnt an erwünschter Mannigfaltigkeit. Ins zweite Stück
hoffe ich die Erzählung zu bringen; überhaupt gedenke ich
aber, wie die Erzählerin in der Tausendundeinen Nacht zu
verfahren. Ich freue mich, Ihre Anmerkungen sogleich zu nutzen und
dadurch neues Leben in diese Komposition zu bringen. Die gleiche
Wohltat hoffe ich für den Roman. Lassen Sie mich nur nicht lange
auf die Fortsetzung Ihrer Briefe warten.
Von
Faust kann ich jetzt nichts mitteilen; ich wage nicht das Paket
aufzuschnüren, das ihn gefangen hält. Ich könnte nicht
abschreiben ohne auszuarbeiten, und dazu fühle ich mir keinen Mut.
Kann mich künftig etwas dazu vermögen, so ist es gewiß
Ihre Teilnahme.
Daß Herr von Humboldt mit unsern homerischen Unterhaltungen
zufrieden ist, beruhigt mich sehr, denn ich habe mich nicht ohne Sorge
dazu entschlossen. Ein gemeinsamer Genuß hat so große
Reize, und doch wird er so oft durch die Verschiedenheit der Teilnehmer
gestört. Bis jetzt hat noch immer ein guter Genius über
unsere Stunden gewacht. Es wäre recht schön, wenn wir auch
einmal einige Bücher zusammen genössen.
Leben
Sie recht wohl und lassen mich nicht ferne von Sich und den Ihrigen
sein.
Weimar, den 2. Dezember 1794
Goethe
40 An
Goethe [29]
Jena, den 3. Dezember 1794
Da ich
eben einen Brief von Cotta erhalte, worin er wünscht und
verspricht, noch vor Ende dieses Monats das erste Horenstück zu
versenden, wenn es nicht am Manuskripte fehle, so bitte ich Sie, mir
die Erzählungen womöglich Freitags zu übersenden, wo ich
sie abschicken kann. Sieben Tage lang bleiben die Briefe unterwegs, und
noch zweimal so viele Zeit wird ohngefähr nötig sein, den
Rest des Stücks abzudrucken und es zu broschieren. Leider sehe ich
voraus, daß mein historischer Beitrag zu diesem Stück nicht
wird fertig werden können, besonders da meine
Unpäßlichkeit mir zwei Tage weggenommen hat und die
Ankündigung des Journals für das Publikum wohl auch mehrere
Tage kosten dürfte. Indessen hoffe ich, daß diese
Ankündigung selbst, welche dem ersten Stücke soll beigedruckt
werden, einigermaßen zur Ergänzung dienen soll.
Da die
Post sogleich abgeht, so habe ich nur so viel Zeit, um Ihnen für
die Güte, mit der Sie meine Bemerkungen aufnahmen, und für
den übrigen Inhalt Ihres Briefes von ganzem Herzen zu danken.
Schiller
40-41 An
Schiller [30]
Hierbei das
Manuskript; ich habe daran getan, was die Zeit erlaubte, Sie oder Herr
v. Humboldt sehn es ja vielleicht noch einmal durch.
Ich
habe den Schlußstrich weggestrichen, weil mir eingefallen ist,
daß ich wohl noch auf eine schickliche Weise etwas anhängen
könnte. Wird es eher fertig als Ihre Anzeige, so könnte es
zugleich mit abgehen. Schreiben Sie mir nur durch den
rückkehrenden Boten: ob Ihnen etwas von einer g e s p
e n s t e r m ä ß i g e n M y s t i f i k a t i
o n s g e s c h i c h t e bekannt sei, welche vor vielen Jahren
Mlle. C l a i r o n begegnet sein soll? und ob
vielleicht in irgend einem Journal das Märchen schon gedruckt ist?
Wäre das nicht, so lieferte ich sie noch, und wir fingen so recht
vom U n g l a u b l i c h e n an, welches uns
sogleich ein unendliches Zutrauen erwerben würde. Ich
wünschte doch, daß das erste Stück mit voller Ladung
erschiene. Sie fragen ja wohl bei einigen fleißigen Journallesern
wegen der Claironischen Geschichte nach, oder stellen die Anfrage an
den Bücherverleiher Voigt, der doch so etwas wissen sollte.
Leben
Sie recht wohl und halten Sie sich frisch. Möchten Sie doch durch
körperliche Zufälle nicht so oft in Ihrer schönen
Geistestätigkeit gestört werden!
Weimar, den 5. Dezember 1794
Goethe
41-42 An
Goethe [31]
Jena, den 6. Dezember 1794
Indem
ich eben aus dem Bette steige, erhalte ich Ihr Paket zu meiner
großen Freude und Beruhigung. Nach der
Gespenstermäßigen Geschichte will ich mich mit dem heutigen
Tage sogleich sorgfältig umtun. Ich habe nichts davon weder
gelesen noch gehört.
Fichte
hat noch einen vierten Aufsatz zu diesem ersten Stücke binnen heut
und acht Tagen, zu liefern versprochen, da er unter seinen Papieren
Materialien dazu vorrätig hat. Die Ladung wird also voll sein, und
da das Avertissement noch extra vorgedruckt wird, werden wir sogar
überkomplett haben. Wenn Sie indessen, während daß das
erste Stück gedruckt wird, mit der Kontinuation der Unterhaltungen
fertig werden sollten, so ist der Setzer sogleich für das zweite
Stück beschäftigt. Für dieses, denke ich, wird Ihre
zweite Epistel, die Fortsetzung der Unterhaltungen, die Fortsetzung
meiner Briefe und die Belagerungsgeschichte von Antwerpen hinreichend
sein.
Cotta
wünscht gar zu sehr, daß zu den einzelnen Aufsätzen die
Namen gedruckt werden möchten. Man könnte ihm, deucht mir,
unter d e r Restriktion willfahren, daß er bei
denjenigen Aufsätzen wegbliebe, wo der Verfasser nicht gleich
genannt sein will. Bei Ihren Elegien, die ohnehin kein Leser, dem es
nicht ganz an Judizium gebricht, verkennen kann, wird gar kein Namen
nötig sein. Sollten Sie bei den Unterhaltungen entweder gar nicht
genannt, oder nur mit einem simpeln G. bezeichnet zu werden
wünschen, so werden Sie die Güte haben, mich in Ihrem
nächsten Briefe davon zu benachrichtigen. Ohnehin kämen die
Namen nicht unter die Aufsätze zu stehen, sondern würden
bloß auf dem Inhaltsverzeichnis erwähnt.
In
Ansehung der Rezensionen des Journals in der Lit. Zeitung ist nunmehr
arrangiert, daß alle drei Monate eine ausführliche Rezension
davon gemacht wird. Das erste Stück wird jedoch gleich in der
ersten Woche des Januar weitläuftig angezeigt. Cotta wird die
Kosten der Rezensionen tragen, und die Rezensenten werden Mitglieder
unsrer Sozietät sein. Wir können also so weitläuftig
sein, als wir wollen, und loben wollen wir uns nicht für die
Langeweile, da man dem Publikum doch alles vormachen muß.
Mit
meiner Gesundheit geht es heute wieder recht brav, und ich werde mich
sogleich an das Avertissement machen.
Ganz der
Ihrige
Schiller
42-43 An
Schiller [32]
Endlich
kommt das erste Buch von Wilhelm Schüler, der, ich weiß
nicht wie, den Namen Meister erwischt hat. Leider werden sie die beiden
ersten Bücher nur sehen, wenn das Erz ihnen schon die bleibende
Form gegeben; demohngeachtet sagen Sie mir Ihre offne Meinung, sagen
Sie mir, was man wünscht und erwartet. Die folgenden werden Sie
noch im biegsamen Manuskript sehen und mir Ihren freundschaftlichen Rat
nicht versagen.
An den
Unterhaltungen will ich sachte fortarbeiten, vor allem andern aber die
zweite Epistel endigen. Ich hoffe, es soll alles gut und leicht gehen,
wenn wir nur erst im Gange sind.
Cotta
mag recht haben, daß er N a m e n verlangt; er
kennt das Publikum, das mehr auf den Stempel als den Gehalt sieht. Ich
will daher den übrigen Mitarbeitern die Entscheidung wegen ihrer
Beiträge völlig überlassen haben, nur was die meinigen
betrifft muß ich bitten, daß sie s ä m m t
l i c h anonym erscheinen; dadurch wird mir ganz allein
möglich, mit Freiheit und Laune, bei meinen übrigen
Verhältnissen, an Ihrem Journale teilnehmen zu können.
Wollten Sie, wenn Sie Druckfehler oder sonst etwas im Romane bemerken,
die Güte haben die Stelle mit Bleistift anzustreichen?
Ich
freue mich bald wieder etwas von Ihnen zu lesen und besonders Sie
vielleicht nach dem neuen Jahre auf einige Zeit zu sehen.
Meyer
grüßt vielmals und ich empfehle mich Ihrem Andenken.
Weimar, den 6. Dezember 1794
Goethe
43-45 An
Goethe [33]
Jena, den 9. Dezember 1794
Mit
wahrer Herzenslust habe ich das erste Buch Wilhelm Meisters durchlesen
und verschlungen, und ich danke demselben einen Genuß, wie ich
lange nicht und nie als durch Sie gehabt habe. Es könnte mich
ordentlich verdrießen, wenn ich das Mißtrauen, mit dem Sie
von diesem trefflichen Produkt Ihres Genius sprechen, einer andern
Ursache zuschreiben müßte, als der Größe der
Forderungen, die Ihr Geist jederzeit an sich selbst machen muß.
Denn ich finde auch nicht etwas darin, was nicht in der schönsten
Harmonie mit dem lieblichen Ganzen stünde. Erwarten Sie heute kein
näheres Detail meines Urteils. Die Horen und deren
Ankündigung, nebst dem Posttag, zerstreuen mich zu sehr, als
daß ich mein Gemüt zu einem solchen Zwecke gehörig
sammeln könnte. Wenn ich die Bogen noch einige Zeit hier behalten
darf, so will ich mir mehr Zeit dazu nehmen und versuchen, ob ich etwas
von dem fernern Gang der Geschichte und der Entwicklung der Charaktere
divinieren kann. Herr v. Humboldt hat sich auch recht daran gelabt und
findet, wie ich, Ihren Geist in seiner ganzen männlichen Jugend,
stillen Kraft und schöpferischen Fülle. Gewiß wird
diese Wirkung allgemein sein. Alles hält sich darin so einfach und
schön in sich selbst zusammen, und mit wenigem ist so viel
ausgerichtet. Ich gestehe, ich fürchtete mich anfangs, daß
wegen der langen Zwischenzeit, die zwischen dem ersten Wurfe und der
letzten Hand verstrichen sein muß, eine kleine Ungleichheit, wenn
auch nur des Alters, sichtbar sein möchte. Aber davon ist auch
nicht eine Spur zu sehen. Die kühnen poetischen Stellen, die aus
der stillen Flut des Ganzen wie einzelne Blitze vorschlagen, machen
eine treffliche Wirkung, erheben und füllen das Gemüt.
Über die schöne Charakteristik will ich heute noch nichts
sagen. Ebensowenig von der lebendigen und bis zum Greifen treffenden
Natur, die in allen Schilderungen herrscht, und die Ihnen
überhaupt in keinem Produkte versagen kann. Von der Treue des
Gemäldes einer t h e a t r a l i s c h e n
W i r t s c h a f t und L i e b s c h a f t
kann ich mit vieler Kompetenz urteilen, indem ich mit beiden
besser bekannt bin, als ich zu wünschen Ursache habe. Die Apologie
des Handels ist herrlich und in einem großen Sinn. Aber daß
Sie neben dieser die Neigung des Haupthelden noch mit einem gewissen
Ruhm behaupten konnten, ist gewiß keiner der geringsten Siege,
welche die Form über die Materie errang. Doch ich sollte mich gar
nicht in das Innere einlassen, weil ich es in diesem Augenblicke nicht
weiter durchführen kann.
Auf
Ihren und unser aller Namen habe ich bei Cotta Arrest gelegt, und er
mag sich, wenn auch murrend, darein ergeben. Das Avertissement habe ich
heute zu meiner großen Erleichterung geendigt, und es wird dem
Intelligenzblatt der Lit. Zeitung beigeschlossen werden. Ihr
Versprechen, nach Weihnachten auf eine Zeitlang hieher zu kommen, ist
mir sehr tröstlich, und läßt mich mit etwas heitererm
Gemüt in diesen traurigen Winter blicken, der nie mein Freund
gewesen ist.
Von
der Geschichte, Mlle. Clairon betreffend, habe ich nichts in Erfahrung
bringen können. Doch erwarte ich noch einige Nachrichten
darüber. Meiner Frau ist es noch erinnerlich, davon gehört zu
haben, daß in Bayreuth bei Öffnung eines alten Gebäudes
die alten Markgrafen sich hätten sehen lassen und geweissagt
hätten. Hufeland, der Jurist, der sonst wie jener gute Freund de rebus omnibus et de quibusdam aliis
zu sprechen weiß, wußte mir nichts davon zu sagen.
Alles
empfiehlt sich Ihnen aufs beste und freut sich über Ihre
versprochene Hieherkunft sehr.
Schiller
45-46 An
Schiller [34]
Sie haben
mir durch das gute Zeugnis, das Sie dem ersten Buche meines Romans
geben, sehr wohlgetan. Nach den sonderbaren Schicksalen, welche diese
Produktion von innen und außen gehabt hat, wäre es kein
Wunder, wenn ich ganz und gar konfus darüber würde. Ich habe
mich zuletzt bloß an meine Idee gehalten und will mich freuen,
wenn sie mich aus diesem Labyrinthe herausleitet.
Behalten Sie das erste Buch so lange Sie wollen, indes kommt das
zweite, und das dritte lesen Sie im Manuskripte: so finden Sie mehr
Standpunkte zum Urteil. Ich wünsche, daß Ihr Genuß
sich mit den folgenden Büchern nicht mindere, sondern mehre. Da
ich nebst der Ihrigen auch Hrn. v. Humboldts Stimme habe, werde ich
desto fleißiger und unverdroßner fortarbeiten.
Das
Verschweigen der Namen, die ja doch in der Annonce genannt werden
sollten, im einzelnen vermehrt gewiß das Interesse; nur
müssen die Aufsätze interessant sein.
Wegen
der Claironischen Geschichte bin ich nun beruhigt, und nun bitte ich
nichts weiter davon zu sagen, bis wir sie produzieren.
Leben
Sie recht wohl. Ich hoffe, daß es mir so wohl werden soll, das
neue Jahr mit Ihnen anzufangen.
Weimar, den 10. Dezember 1794
Goethe
46-47 An
Goethe [35]
Jena, den 22. Dezember 1794
Hier
erhalten Sie endlich eine Anschauung der Horen, von der ich
wünsche, daß sie Ihnen gefallen möchte. Etwas eng ist
der Druck ausgefallen, wobei das Publikum mehr profitiert als wir. Doch
kann man in der Folge, besonders in den poetischen Stücken, eine
Änderung treffen und sich etwas breiter machen. Für den ganz
ersten Anfang ist es mir nicht unlieb, daß die großen
Aufsätze scheinbar zusammen gehen. Auch werde ich dafür
sorgen, daß Cotta diejenigen von uns, welche viel kontribuieren,
und bei denen also die Verengerung des Druckes im Ganzen ein Objekt
macht, auf irgend eine Art entschädigt. Ohnehin ist es in unserem
Kontrakt, daß nach Absatz von 2000 Exemplaren an uns mehr bezahlt
werden muß, aber außer diesem muß er noch mehr tun.
Ich
hoffe daß Sie keine Druckfehler finden sollen. Mir wenigstens ist
keiner aufgefallen. Lettern und Format geben dem Buch ein solides und
dauerhaftes Ansehen und unterscheiden es sehr vorteilhaft von dem
Haufen der Journale. Auch das Papier ist derb, und scheint es
ordentlich auf die Dauer anzulegen.
Cotta
liegt mir sehr um Manuskript für das zweite Stück an; ich
sollizitiere daher um die zweite Epistel.
Diese
Bogen bitte ich mir zurückzuschicken, weil Hofr. Schütz, der
das erste Stück rezensieren wird, sich bogenweise gern damit
bekannt machen möchte. Eine Probe des Umschlags habe ich auch
bestellt, und werde solche über acht Tage erhalten.
Herzlich freue ich mich auf Ihre baldige Zurückkunft nach Jena.
Frau von Kalb ist seit einigen Tagen hier.
Schiller
47-48 An
Schiller [36]
Die Bogen
kehren sogleich zurück. Druck und Papier nehmen sich gut aus,
besonders die Prosa. Die Hexameter verlieren durch die bald einzelnen
bald doppelten Zeilen den Rhythmus fürs Auge.
Unsere
Erklärung über das Honorar, dächte ich, versparten wir
bis das erste Stück da ist, und dann machte man seinen Kalkul und
seine Bedingungen, denn freilich unsere Feldfrüchte über
Herrn Cottas beliebigen Scheffel messen zu lassen, möchte in der
Kontinuation nicht dienlich sein.
Hier
die zweite Epistel. Ihre zweite Hälfte mag die dritte Epistel
werden und das dritte Stück anfangen.
Ich
will nun auch an die Gespenstergeschichten gehen. Vor Ende des Jahrs
bring' ich noch manches beiseite, um Sie mit desto freierem Mute im
neuen begrüßen zu können.
Lassen
Sie doch die Manuskripte von Cotta zurückkommen; es ist in manchem
Betracht gut.
Leben
Sie recht wohl und grüßen Frau v. Kalb, die diesmal leider
nur in der Ferne an mir vorbeigegangen ist.
Weimar, den 23. Dezember 1794
Goethe
48 An
Schiller [37]
Wegen des
alten Obereits schreibe ich Ihnen heute noch ein Wort. Er scheint in
großen Nöten zu sein; ich habe zwanzig Rtlr. für ihn,
die ich Ihnen Sonnabend schicke. Wollten Sie ihm wohl indes etwas
reichen? und überhaupt das Geld bei Sich behalten und ihm nach und
nach etwas geben, denn er wird nie mit diesem Werkzeuge umzugehen
lernen. Leben sie recht wohl. Mein drittes Buch ist fertig, und alles
scheint sich so zu legen, daß ich mit Heiterkeit Sie nach dem
neuen Jahre sehen kann.
Weimar, den 25. Dezember 1794
Goethe