Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe

Band I — 1796

153 An Schiller [140]

    Nur so viel will ich in der Kürze melden: daß endlich die Möglichkeit erscheint, mich von hier los zu machen, und daß ich morgen, zwischen drei und vier, bei Ihnen einzutreffen hoffe. Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen.

Weimar, den 2. Januar 1796
Goethe

153 An Goethe [141]

[Jena, den 17. Jan. 1796]

    Hier folgen vier Almanache und sechsundsechzig Xenien. Ehe Sie Weimar erreichen, werden mit denen, die Sie schon fertig haben, nah an achtzig daraus werden. Reisen Sie glücklich, unsre guten Wünsche sind mit Ihnen.
Schiller

153-154 An Goethe [142]

Jena, den 18. Januar 1796

    Wir haben dem armen Tiere, dem Michaelis, doch Unrecht getan. Die neulich überschickten zehn Exemplare waren nur für die Mitarbeiter ad extra bestimmt; heute ist erst das eigentliche Paket, welches die Exemplarien für Sie, Herdern und mich enthält, angelangt, und dieses ist zwölf Tage über die Zeit unterwegs geblieben. Ich sende Ihnen daher hier noch drei Exemplare auf Atlas *). Die noch restierenden Bogen von den Epigrammen verschreibe ich mit der heutigen Post. Sollten Sie eins von den schlechtern Exemplarien überflüssig haben, so kann ich es bei dem Buchhändler wieder anbringen. Leben Sie recht wohl.
Schiller

    D i e   G e s u n d b r u n n e n   z u   N. N.

Seltsames Land! Hier haben die Bäche Geschmack und die Quellen;
    Bei den Bewohnern allein hab' ich noch keinen verspürt.

    *) Zwei Kalender bringt das Botenmädchen. Die Post nahm sie nicht an.

154 An Schiller [143]

    Vielen Dank für die schönen Exemplare; hier kommt ein geringeres zurück. Jedermann spricht gut von dem Almanach. Es ist eine allgemeine Nachfrage darnach.
    Die Epigramme sind noch nicht abgeschrieben, auch fürchte ich, Sie werden mir so vorauslaufen daß ich Sie nicht einholen kann. Die nächsten vierzehn Tage seh' ich wie schon verschwunden an. Die neue Oper wird uns noch viel zu schaffen machen, es wird aber auch ein lustiges und erbauliches Werk. Leben Sie recht wohl und haben noch tausend Dank für alles Gute und Liebe. Sobald als möglich besuche ich Sie wieder.

Weimar, den 20. Januar 1796
Goethe

154-155 An Goethe [144]

Jena, den 22. Januar 1796

    Hier eine kleine Lieferung von Epigrammen. Was Ihnen darunter nicht gefällt, lassen Sie nur gar nicht abschreiben. Es geht mit diesen kleinen Späßen doch nicht so rasch, als man glauben sollte, da man keine   S u i t e   von Gedanken und Gefühlen dazu benutzen kann, wie bei einer längeren Arbeit. Sie wollen sich ihr urprüngliches Recht als   G l ü c k l i c h e   E i n f ä l l e   nicht nehmen lassen. Ich zweifle deswegen, ob ich, bei meinem Müßiggange, Ihnen so weit vorkommen werde, als Sie denken, denn in die Länge geht es doch nicht, ich muß mich zu größern Sachen entschließen, und die Epigramme auf den Augenblick ankommen lassen. Doch soll kein Posttag leer sein, und so rücken wir doch in vier, fünf Monaten weit genug vor.
    Ihre Epigramme im Almanach machen großes Glück, wie ich immer aufs neu in Erfahrung bringe, und bei Leuten, von deren Urteil man keine Schande hat. Daß der Almanach in Weimar neben den Emigrierten und den Hundsposttagen noch aufkommen kann, ist mir sehr tröstlich zu vernehmen.
    Darf ich Sie mit einem kleinen Auftrage belästigen? Ich wünschte dreiundsechzig Ellen Tapeten von schöner grüner Farbe und zweiundsechzig Ellen Einfassung, welche ich ganz Ihrem Geschmack und Ihrer Farbentheorie überlasse. Wollten Sie Herrn Gerning darnach schicken, und allenfalls Ordre geben, daß ich sie in sechs bis acht Tagen haben kann?
    Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt.
Schiller

    A n   e i n e n   g e w i s s e n   m o r a l i s c h e n   D i c h t e r.

Ja, der Mensch ist ein elender Wicht, ich weiß — doch das wollt' ich
    Eben vergessen und kam, ach wie gereut mich's! zu dir.

    J a k o b   d e r   K a n t i a n e r.

Kantische Worte sollte der hohle Schädel nicht fassen?
    S i e h t   m a n   in hohler Nuß  d o c h   d e n   K a l e n d e r   v e r s t e c k t.

155-156 An Schiller [145]

    Die nächsten acht Tage werde ich ein sehr buntes Leben führen. Heute kommt die Darmstädter Herrschaft, morgen ist Cour, Diner, Konzert, Souper und Redoute. Montag Don Juan. Die übrige Woche geht auf Proben hin, denn den 30. sind die   A d v o k a t e n   von Iffland und den 2.   d i e   n e u e   O p e r.   Dann will ich aber auch mich wieder sobald als möglich sammeln und sehen, was ich leisten kann. Das achte Buch erscheint mir indessen oft zwischen allen diesen fremden Gestalten durch, und ich hoffe, es soll sich nun bei der ersten Gelegenheit auch fertig machen.
    In den letzten Epigrammen, die Sie mir senden, ist ein herrlicher Humor, und ich werde sie deshalb alle abschreiben lassen; was am Ende nicht in der Gesellschaft bleiben kann, wird sich wie ein fremder Körper schon separieren.
    Die verlangten Papiertapeten, sowie die Bordüren sind hier, fertig, nicht zu haben; ich schicke hier Muster von beiden aus Frankfurt. Das Stück Tapete ist eine Elle breit, und hält zwanzig Ellen. Sie müßten also zu 63 Ellen 4 Stücke nehmen und behielten so viel übrig. Das Stück kostete vor einem Jahre 1 Gulden 20 Kreuzer. Von der beikommenden Bordüre hält das Stück 40 Ellen und kostet 3½ Gulden, Sie brauchten also davon 2 Stück. Sie steht auf Grün sehr gut, wollte man sie lebhafter haben, so gibt es auch schöne Rosenbordüren von derselben Breite. Wenn Sie mir die Muster geschwind zurückschicken, so könnte ich Montag abends nach Frankfurt schreiben, und Sie würden das Verlangte doch ziemlich bald erhalten. Mehr Umstände macht es, wenn man hier die Papiere wollte färben lassen, besonders da Eckebrecht gegenwärtig sehr mit den Dekorationen beschäftigt ist.
    Leben Sie recht wohl und genießen des schönen Wetters.

Den 23. Januar 1796
Goethe

156-157 An Goethe [146]

Jena, den 24. Januar 1796

    Für einen Schriftsteller, der mit der Katastrophe eines Romans, mit tausend Epigrammen und zwei weitläuftigen Erzählungen aus Italien und China beschäftigt ist, haben Sie diese nächsten zehn Tage ganz leidliche Zerstreuungen. Aber was Ihnen die Zeit nimmt, gibt sie Ihnen dafür wieder an Stoff, und am Ende sind Sie weiter gekommen als ich, der seine Gegenstände aus den Nägeln saugen muß. Heute indessen habe ich auch eine Zerstreuung, denn Charlotte Kalb wird hier sein.
    Es tut mir leid, daß meine Tapeten-Angelegenheit Ihnen mehr als ein paar Worte kosten soll. Da Sie indessen so gütig sein wollen, diese Verzierung an meinem Horizonte zu besorgen, so bitte ich Sie, mir 4 Stücke von der grünen Tapete und 2 von Rosa-Bordüren (wenn diese auch 40 Ellen halten) aus Frankfurt kommen zu lassen. Ich ziehe die Rosa-Bordüren der Lebhaftigkeit wegen dem beiliegenden Muster vor.
    Woltmann war gestern drei Stunden lang allein bei mir, und ich habe es glücklich durchgesetzt, daß von den zwei Theaterstücken keine Silbe gesprochen wurde. Er war übrigens sehr artig und sehr freigebig an Lob über Ihre und meine Arbeiten — ohne doch ein Fünkchen Barmherzigkeit bei mir, seines Stücks wegen, zu erwecken.
    Leben Sie recht wohl. Hier wieder einige Xenien, daß die Observanz nicht verletzt wird.
Schiller

157-158 An Schiller [147]

    Mit der ganzen Sammlung unserer kleinen Gedichte bin ich noch nicht zustande; hier kommt einstweilen mein Beitrag von dieser Woche. Wenn wir unsere vorgesetzte Zahl ausfüllen wollen, so werden wir noch einige unserer nächsten Angelegenheiten behandeln müssen, denn wo das Herz voll ist, geht der Mund über, und dann ist es eine herrliche Gelegenheit die Sachen aus der Studierstube und Rezensentenwelt in das weitere Publikum hinaus zu spielen, wo dann einer oder der andere gewiß Feuer fängt, der sonst die Sache hätte vor sich vorbeistreichen lassen.
    Mir fangen diese Tage nun an recht bunt zu werden; man übernimmt immer mehr, als man ausführen kann. Leben Sie wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau.

Weimar, den 27. Januar 1796
Goethe

158 An Goethe [148]

[Jena, den 27. Januar 1796]

    Sie haben mich mit dem reichen Vorrat von Xenien, den Sie geschickt haben, recht angenehm überrascht. Die den Newton betreffen, werden Sie zwar, auch durch den Stoff, kenntlich machen, aber bei dieser gelehrten Streitsache, die niemand Lebenden namentlich betrifft, hat dieses auch nichts zu sagen. Die angestrichenen haben uns am meisten erfreut.
    Denken Sie darauf, Reichardten, unsern soi-disant Freund, mit einigen Xenien zu beehren. Ich lese eben eine Rezension der Horen in seinem Journal Deutschland, welches Unger ediert, wo er sich über die Unterhaltungen und auch noch andre Aufsätze schrecklich emanzipiert hat. Der Aufsatz von Fichte und Woltmann sind beide in einem weitläuftigen Auszug mitgeteilt und als musterhaft aufgestellt. Das fünfte Stück (das schlechteste von allen) ist als das   i n t e r e s s a n t e s t e   vorgestellt, Voßens Gedichte, der Rhodische Genius von Humboldt sehr herausgestrichen und was des Zeuges mehr ist. Es ist durchaus mit einem nicht genug verhehlten Ingrimm geschrieben. Als das wichtigste Werk der neuern deutschen Literatur wird Heinses musikalischer Roman weitläuftig, doch hab' ich nicht gelesen wie? beurteilt.
    Wir müssen Reichardt, der uns so ohne allen Grund und Schonung angreift, auch in den Horen, bitter verfolgen.
    Hier wieder einige Pfähle ins Fleisch unserer Kollegen. Wählen Sie darunter, was Ihnen ansteht.
    Leben Sie recht wohl. Meine Frau empfiehlt sich aufs beste.
Schiller

159-160 An Schiller [149]

    Der erste Akt wäre überstanden! ein Aufzug, den ich zur gestrigen Redoute arrangieren half; es ging alles gut ab, obgleich der Saal übermäßig voll war. Da man jetzt bloß in Distichen spricht, so mußte der türkische Hof selbst sein Kompliment an die Herzogin in dieser Versart darbringen, wie Sie aus der Beilage sehen werden. Eine andere Gesellschaft hatte einen Zug von gemischten Masken aufgeführt, unter welchen sich ein paar Irrlichter sehr zu ihrem Vorteil ausnahmen; sie waren sehr artig gemacht und streuten, indem sie sich drehten und schüttelten, Goldblättchen und Gedichte aus.
    Die Disticha nehmen täglich zu, sie steigen nunmehr gegen zweihundert. Ich lege das neuste Modejournal bei wegen der Abhandlung pag. 18 über die   X e n i e n.   Der Verfasser denkt wohl nicht, daß ihm auch eins fürs nächste Jahr zubereitet werde. Wie arm und ungeschickt doch im Grund diese Menschen sind! nur zwei solcher Gedichtchen, und noch dazu so schlecht übersetzt, zur Probe zu geben! Es ist aber, als wenn alles Geistreiche diesen feuerfarbnen Einband flöhe.
    Ich habe die Abhandlung Cellini's über die Goldschmieds- und Bildhauerarbeit von Göttingen erhalten; da ich ihn nun doch geschwind lesen und ausziehen muß, so wird die kleine Biographie wahrscheinlich dadurch gefördert werden. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.
    Fast hätte ich das Beste vergessen. Ich habe einen gar schönen und guten Brief von Meyer erhalten, der seinen Zustand recht deutlich darstellt. Seine unwiderstehliche Neigung, gründlich zu sein und etwas Ausführliches zu arbeiten, kommt bei der ungeheuern Menge von Gegenständen, die er beschreibt und beurteilt, und bei dem Reize anderer, wie er nachbilden möchte, sehr ins Gedränge. Er fragt mich um Rat, und ich werde ihn an seinen Genius zurückweisen.
    In einem Brief an die Herzogin Mutter steht eine lustige Stelle über die Künstler, welche jetzt Kantische Ideen in allegorischen Bildern darstellen. Wenn es nicht bloß Persiflage ist, so haben wir da die tollste Erscheinung, die vor dem jüngsten Tage der Kunst vorhergehen kann.
    Aus Ihrem Briefe seh' ich erst, daß die Monatschriften Deutschland und Frankreich Einen Verfasser haben. Hat er sich emanzipieret, so soll er dagegen mit Karnevals-Gips-Drageen auf seinen Büffelrock begrüßt werden, daß man ihn für einen Perückenmacher halten soll. Wir kennen diesen falschen Freund schon lange und haben ihm bloß seine allgemeinen Unarten nachgesehen, weil er seinen besondern Tribut regelmäßig abtrug; sobald er aber Miene macht, diesen zu versagen, so wollen wir ihm gleich einen Bassa von drei brennenden Fuchsschwänzen zuschicken. Ein Dutzend Disticha sind ihm schon gewidmet, welche künftigen Mittwoch, geliebt es Gott, anlangen werden. Indessen nochmals ein Lebewohl.

Weimar, den 30. Januar 1796
Goethe

160-161 An Goethe [150]

Jena, den 31. Januar 1796

    Ich wünsche Glück zu dem erwünschten Ausgang der Festivität, die sich ganz artig und lieblich mag ausgenommen haben. Die Irrlichter haben mich besonders gefreut.
    Meyers Briefe bringen Sie wohl mit, wenn Sie herkommen. Ich bin sehr erwartend, wie es sich nach und nach in ihm klären und präzipitieren wird. Da die Nachricht von den Kantischen Konfigurationen nur in dem Briefe an die Herzogin vorkommt, so ist sie hoffentlich ein Spaß; eine so köstliche Neuigkeit würde er wohl Ihnen bestimmter gemeldet haben.
    Daß Reichardt der Herausgeber des   J.   D e u t s c h l a n d   ist, darauf können Sie sich verlassen; sowie auch darauf, daß er sich (oder doch der Rezensent, welches uns hier ganz eins ist) gegen die Unterhaltungen sehr viel herausnimmt, obgleich er Sei bei andern Veranlassungen in der nämlichen Rezension mit vollen Backen lobt. Das Produkt ist unendlich miserabel. Heinses Buch, davon ich die Rezension nun näher angesehen, ist sehr getadelt, welches mich ordentlich verdrießt, da eine Dummheit weniger zu rügen ist.
    Für unsere Xenien haben sich indessen allerlei Ideen, die aber noch nicht ganz reif sind, bei mir entwickelt. Ich denke auch, daß, wenn Sie etwa zu Ende dieser Woche kommen, Sie ein Hundert und darüber bei mir finden sollen. Wir müssen die guten Freunde in allen erdenklichen Formen verfolgen, und selbst das poetische Interesse fordert eine solche Varietät innerhalb unsers strengen Gesetzes, bei einem Monodistichon zu bleiben. Ich habe dieser Tage den Homer zur Hand genommen und in dem Gericht, das er über die Freier ergehen läßt, eine prächtige Quelle von Parodien entdeckt, die auch schon zum Teil ausgeführt sind; ebenso auch in der Nekyomantie, um die verstorbenen Autoren und hie und da auch die lebenden zu plagen. Denken Sie auf eine Introduktion Newtons in der Unterwelt — Wir müssen auch hierin unsere Arbeiten ineinander verschränken.
    Beim Schlusse, denke ich, geben wir noch eine Komödie in Epigrammen. Was meinen Sie?
    Meine Frau grüßt Sie schönstens. Kommen Sie nur recht bald.
Schiller

161-162 An Schiller [151]

    Die erste Abschrift der Xenien ist endlich fertig geworden, und ich schicke sie sogleich, um so mehr, da ich vor dem 14ten dieses nicht nach Jena kommen kann. Sie sehen zusammen schon ganz lustig aus; nur wird es ganz gut sein, wenn wieder einmal eine poetische Ader durch die Sammlung durchfließt. Meine letzten sind, wie Sie finden werden, ganz prosaisch, welches, da ihnen keine Anschauung zum Grunde liegt, bei meiner Art wohl nicht anders sein kann.
    Vielleicht schicke ich Ihnen das siebente Buch meines Romans in kurzer Zeit. Ich arbeite es jetzt nur aus dem Gusse des Diktierens ins Reine; was weiter daran zu tun ist wird sich finden, wenn das achte Buch ebenso weit ist und wir das Ganze recht lebhaft und ernsthaft durchgesprochen haben.
    Ich habe diese Tage das Werk des Cellini über das Mechanische verschiedener Künste von Göttingen erhalten. Es ist trefflich geschrieben, und sowohl die Vorrede als das Werk selbst gibt über den wunderbaren Mann schöne Aufschlüsse. Ich habe mich daher gleich wieder an sein Leben gemacht, allein die Schwierigkeiten der Behandlung bleiben immer dieselben. Ich will nur anfangen, einige interessante Stellen zu übersetzen, und erwarten, was sich weiter macht. An einem Leben ist ohnedem weiter nichts, nach meiner realistischen Vorstellungsart, als das Detail, besonders nun gar bei einem Partikulier, wo keine Resultate zu denken sind, deren Weite und Breite uns allenfalls imponieren könnten, und bei einem Künstler, dessen Werke, die bleibenden Wirkungen seines Daseins, nicht vor unsern Augen stehen. Vielleicht bringe ich noch, ehe ich zu Ihnen komme, ein hübsches Pensum zusammen, und es wird sich alsdann näher ergeben, was zu tun ist.
    Wie kommt es, daß das neue Stück der Horen so lange außen bleibt?
    Die erste Repräsentation der neuen Oper ist glücklich vorbei, und wir haben den Beifall der Masse; sie nimmt sich auch wirklich zusammen recht artig aus. Die Musik ist nicht tief, aber angenehm; die Kleider und Dekorationen taten gute Wirkung. Ich werde Ihnen ehestertags das Buch schicken, damit Sie doch sehen, was das deutsche Theater für einen wunderlichen und erzdeutschen Gang nimmt. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau. Ich hoffe bald aus meiner, für den stärksten Realisten zu starken, Lebensart zu Ihnen in den Hafen zu gelangen.

Weimar, den 4. Februar 1796
Goethe

163-164 An Goethe [152]

Jena, den 5. Februar 1796

    Die Sammlung wächst uns unter den Händen, daß es eine Lust ist. Es hat mich gefreut, auch mehrere politische unter den neuen anzutreffen; denn da wir doch zuverlässig an den unsichern Orten konfisziert werden, so sähe ich nicht, warum wir es nicht auch von dieser Seite verdienen sollten. Sie finden vierzig bis zweiundvierzig neue von mir; gegen achtzig andre, die zusammen gehören und in Kleinigkeiten noch nicht ganz fertig sind, behalte ich noch zurück. Reichardt ist gut rekommandiert, aber er muß es noch mehr werden. Man muß ihn auch als Musiker angreifen, weil es doch auch da nicht so ganz richtig ist, und es ist billig, daß er auch bis in seine letzte Festung hinein verfolgt wird, da er uns auf unserem legitimen Boden den Krieg machte.
    Daß Sie mit einzelnen Partien aus dem Cellini anfangen wollen, ist mir sehr lieb zu hören. Das wird Sie am besten hineinbringen; denn wo es die Sache leidet, halte ich es immer für besser, nicht mit dem Anfang anzufangen, der immer das Schwerste und das Leerste ist. Sie schreiben mir nichts, ob ich von Ihnen etwas für das dritte Horenstück zu hoffen habe. Dies müßte ich aber freilich binnen drei, vier Wochen spätestens haben. Jetzt lebe ich noch von dem abscheulichen Tourville. Von dem Properz wünschte ich binnen acht Tagen die zweite Lieferung. Herder hat sich auf unbestimmte Zeit von den Horen dispensiert. Ich weiß nicht, wo diese Kälte herkommt, oder ob er wirklich durch eine andere Arbeit abgehalten wird.
    Daß die Horen von diesem ersten Monat noch nicht hier sind, ist eigentlich meine Schuld, weil mein Aufsatz, der, den Sie hier lasen, erst vor vier Wochen abging. Drei Wochen gehen auf die Hin- und Herreise und eine Woche auf den Druck auf. Morgen kommen die Exemplare gewiß, denn das per Briefpost übermachte habe ich schon seit dem Montag in Händen. Der neue Druck nimmt sich besser aus, auch das Papier wird mehr Beifall haben.
    Auf das Neue aus dem Meister freue ich mich, wie auf ein Fest. Auch ich werde, ehe wir über das Ganze sprechen, mich mit dem bisherigen noch mehr familiarisieren.
    Körner schreibt mir, daß er zu Ende Mais hieher zu kommen und vierzehn Tage hier zuzubringen hoffe, worauf ich mich sehr freue. Gewiß wird sein Hiersein auch Ihnen Vergnügen machen. Da auch Schlegel dieses Frühjahr kommt, und vermutlich auch Funk einen Monat hier zubringt, so wird es ziemlich lebhaft bei mir werden.
    An Knebeln will ich mit dem Horenexemplare, das ich an Sie beilegen werde, abschläglich 15 Louisdors senden. Da der Properz nicht soviel Bogen füllt, als ich anfangs dachte, so wird diese Summe, die über die Hälfte des ganzen Honorars beträgt, schon anständig genug sein.
    Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt schönstens.
Schiller

164-165 An Goethe [153]

Den 7. Februar

    Hier endlich die neuverjüngte Hore des 1796sten Jahrs. Sie nimmt sich munterer und ungleich moderner aus als die alte, und mich verdrießt, daß wir nicht gleich anfangs so klug gewesen sind.
    Für dieses erste Jahr werden die Autoren bei dem weiten Druck noch nichts gewinnen, weil Cotta bei Abschaffung der alten Schrift, bei dem neuen Papier und dem Umschlag neue Kosten gehabt. Es wird also für dieses Jahr, wie er sich ausgebeten, so viel von dem Honorar abgezogen, als das Verhältnis zu dem alten Drucke beträgt.
    Daß die Abbestellungen beträchtlich sein mochten, ersehe ich sowohl aus dem   k l e i n e r e n   Paket, welches an die hiesigen Buchhandlungen an mich eingeschlossen worden, als auch daraus, daß die hiesige sächsische Post von vier Exemplarien zwei abbestellte. Wir wollen hoffen, daß dieses Verhältnis nicht durch ganz Deutschland geht. Cottas Klagen sind sehr mäßig, und man spürt ihm noch gute Hoffnung an.
    Hiebei an Knebeln eine Hore nebst 15 Louisdors, ein Exemplar an den Herzog und sechs für Sie. Beilage an Herdern bitte besorgen zu lassen.
    Kennen Sie einen Medailleur Abramson in Berlin, und haben Sie etwas von seinen Arbeiten gesehen? Er schreibt an mich, meiner Zeichnung wegen, um eine Medaille zu machen. Ich möchte aber doch wissen, was an ihm ist.
    Hier einige Dutzend neue Xenien, die seit heut und gestern in einem Raptus entstanden. Lassen Sie das wandernde Exemplar bald reich ausgestattet wieder zu mir gelangen.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

165-166 An Schiller [154]

    Nachdem uns die Redoute eine Nacht weggenommen, und wir ziemlich spät aufgestanden sind, will ich, um das angekommene Paket nicht aufzuhalten, nur mit wenig Worten anzeigen, daß die Horen in ihrem neuen Gewande und etwas modernerm Putze, der sie recht gut kleidet, nebst dem beiliegenden Gelde bei mir angekommen sind. Die Elegien hoff' ich auf den Sonnabend, wenngleich nicht abgeschrieben, zu schicken, und denke den Montag darauf selbst zu kommen, wo wir denn unsere Zustände und Pläne durchdenken und durchsprechen werden. Leben Sie recht wohl. Den Beschluß der Abhandlung über die naiven und sentimentalischen Dichter und Menschen habe ich mit großem Vergnügen wieder gelesen; auch höre ich von auswärts, daß die ersten Abschnitte sehr gut aufgenommen sind. Es kommt nur jetzt darauf an, immer dieselbe Stelle zu treffen, und die Wirkung wird wohl nicht ausbleiben.

Weimar, den 10. Februar 1796
Goethe

    Die Bordüren, hoff' ich, werden Ihnen gefallen, nur muß man acht haben, daß sie nicht falsch aufgeklebt werden; sie haben zweierlei Lichtseiten, um sie rechts und links gegen die Fenster wenden zu können, auch ist zu bemerken, daß die Bouquets   f a l l e n.   Die Leute geben nicht immer acht auf diese Hauptpunkte, sie haben mir in meinem Hause eine solche Bordüre ganz falsch aufgeklebt, deswegen ich dieses zur Warnung melde. Ich will das Paket auch von hier frankieren und den Betrag zusammen notieren.

166-167 An Schiller [155]

    Wenn Sie nur die versprochenen Elegien nicht so notwendig brauchten! denn ich weiß nicht, wie ich damit einhalten soll. Schon seit acht Tagen bin ich darüber und mit Knebel in Konferenz; dadurch ist die Abschrift wieder unrein geworden und muß noch einmal gemacht werden. Wenn es möglich wäre, noch acht Tage Aufschub zu geben, so sollte alles in der Ordnung sein. Ich leide noch immer unsäglich am Karneval, und durch die abermalige Ankunft von fremden Prinzen werden unsere Theater- und Tanzlustbarkeiten verrückt und gehäuft.
    Da ich zum dritten Stücke noch nichts zu liefern weiß, habe ich meine alten Papiere durchgesehen und darin wunderliches Zeug, aber meist Individuelles und Momentanes, gefunden, daß es nicht zu brauchen ist. Um wenigstens meinen guten Willen zu zeigen, schicke ich hier eine sehr subjektive Schweizerreise. Urteilen Sie, inwiefern etwas zu brauchen ist; vielleicht wenn man noch irgend ein leidenschaftliches Märchen dazu erfände, so könnte es gehen. Die Gegenden sind hundertmal betreten und beschrieben, doch betritt man sie wieder und liest die Beschreibungen noch einmal. Sagen Sie mir Ihre Gedanken darüber. Es versteht sich von selbst, daß alles, was die Personen bezeichnet, müßte vertilgt werden.
    Leben Sie recht wohl! Mit großer Sehnsucht hoff' ich auf den Augenblick Sie wieder zu sehen.
    Meyer hat wieder geschrieben; er negociiert, die Aldobrandinische Hochzeit kopieren zu dürfen. Wie sehr wünschte ich dieses herrliche Werk in unserm Besitz zu sehen. Die Nachricht von den Kantischen Gemälden ist wahr; es steht auch schon eine Nachricht im Merkur, die ich aber leider übersehen habe.

Weimar, den 12. Februar 1796
Goethe

167-168 An Goethe [156]

Jena, den 12. Februar 1796

    Den schönsten Dank für die Mühe, die Sie mit den Tapeten usw. übernommen haben. Die Borduren werden sehr gut aussehen. Ich freue mich auf die schönern Wände, die mich nun umgeben werden.
    Diese Woche habe ich wieder viel schlaflose Nächte gehabt und sehr an Krämpfen gelitten. Es ist noch nicht besser, daher ich auch mit meinen Arbeiten nicht vorwärts gekommen bin, und wahrscheinlich haben Sie mich jetzt in den Xenien überholt. Hätte ich meine Zeit nur wenigstens auf eine lustigere Art verloren.
    Humboldt wird Ihnen morgen wahrscheinlich selbst schreiben. Mir schrieb er kürzlich, daß jetzt kein Kaviar zu schicken sei.
    Haben Sie doch die Güte, wenn Sie hieher kommen, 1) einige Mondlandschaften und 2) die Komödiensammlung der letztern Jahre mitzubringen.
    Ich habe vorige Messe ein Buch herausgegeben, das ich gestern angefangen habe zu lesen. Es ist ein neuer Teil der Mémoires, Brantomes Charakteristiken enthaltend, die manchmal recht naiv sind, und die zwar den Gegenstand sehr schlecht, ihn selbst aber desto besser charakterisieren.
    Diese Sammlung läuft noch immer unter meinem Namen, obgleich ich mich öffentlich davon losgesagt. Dies gehört auch zu den Germanismen.
    Leben Sie recht wohl. Ich freue mich von Herzen auf Ihre Ankunft.
Schiller

168-169 An Schiller [157]

    Da ich doch nicht wissen kann, ob Sie nicht die Elegien nötig brauchen, so will ich sie lieber heute schicken, obgleich nur drei davon abgeschrieben sind. Die übrigen sind lesbar, und Sie würden nicht gehindert sein. Können und wollen Sie solche aufheben, bis ich hinüber komme, so läßt sich vielleicht über eins und das andere noch sprechen.
    Für die überschickten 15 Louisdor dankt der Autor aufs beste.
    Der Medailleur Abramson in Berlin ist geschickt; wenn Sie ihm gönnen wollen, daß er Ihre Medaille macht, so würde ich raten, sich von unserm Klauer en médaillon erst bossieren zu lassen und einen Gipsabguß nach Berlin zu schicken; hiernach kann er besser arbeiten als nach irgend einer Zeichnung, und wer sollte die bei uns auch machen? Schade daß Meyer nicht da ist, so könnte man auch gleich etwas Vernünftiges zur Gegenseite erfinden. Der Medailleur müßte Klauern bezahlen.
    Bei dem Briefe vom 7. Februar sollen ein Dutzend Xenien liegen, ich habe sie aber nicht gefunden, ob ich gleich die beiliegenden Horenexemplare auf das sorgfältigste durchgeblättert habe. Leider hat mich auch in diesen Tagen weder etwas Xenialisches noch Genialisches angewandelt; ich hoffe mehr als jemals auf eine Ortveränderung, um zu mir selbst zu kommen; leider weiß ich noch nicht, ob ich Montags kommen kann.
    Es ist mir herzlich leid, daß Sie wieder so viel gelitten haben, und daß Ihre Einsamkeit Ihnen nicht zu gute kommt, indes mich die Zerstreuung von einer wünschenswerten Tätigkeit abhält. Ich freue mich auch, wieder einmal einige Worte von Humboldt zu hören; er hat wohlgetan, bei diesem weichen Wetter keinen Kaviar zu schicken.
    Vielleicht könnte man aus der Schweizerreise, die ich Ihnen gestern schickte, die einzelnen ausführlichen Tableaus, zum Beispiel das Münstertal, die Aussicht vom Jura pp. herausziehen und ohne Zusammenhang hinstellen. Doch das werden Sie am besten beurteilen; ich hatte nicht Zeit die Hefte, die ich Ihnen schickte, durchzulesen, und kann über ihren Wert und Unwert nicht urteilen.
    Meyer hat wieder geschrieben; wahrscheinlich ist er jetzt über der Aldobrandinischen Hochzeit. Er hat die Art, die Antiken zu beobachten, die er in Dresden angefangen hatte, fortgesetzt; er schreibt: Nun kommt es auf zarte Bemerkungen an: der Zeichnung der Augen, der Art, wie die Linien sich schwingen und sich begegnen, wie der Mund gezeichnet und gearbeitet ist, wie die Haare angesetzt sind, was für Kenntnisse der Künstler gehabt, welcher Theorie er gefolgt sei.
    Er hofft, auch dem Raffael noch eine neue Seite abzugewinnen.

Weimar, den 13. Februar 1796
Goethe

169-170 An Goethe [158]

[Jena, Anfang März 1796]

    Daß Sie den Abend nicht kommen können, beklag' ich. Ich befinde mich ganz erträglich, und wir hätten allerlei durchschwatzen können.
    Eben ist Niethammer da; wir debattieren über den Begriff des Rechts, und da wird zuweilen ordentlich vernünftig gesprochen.
    Auch die kleine Tänzerin vom letzten Ball ist da.
    Leben Sie recht wohl. Morgen Abend kommen Sie doch desto zeitiger?
Schiller

170 An Goethe [159]

Jena, den 18. März 1796

    Seit Ihrer Abwesenheit ist es mir noch immer ganz erträglich gegangen, und ich will recht wohl zufrieden sein, wenn es in Weimar nur so kontinuiert. Ich habe an meinen Wallenstein gedacht, sonst aber nichts gearbeitet. Einige Xenien hoffe ich vor der merkwürdigen Konstellation noch zustande zu bringen.
    Die Zurüstungen zu einem so verwickelten Ganzen, wie ein Drama ist, setzen das Gemüt doch in eine gar sonderbare Bewegung. Schon die allererste Operation, eine gewisse Methode für das Geschäft zu suchen, um nicht zwecklos herumzutappen, ist keine Kleinigkeit. Jetzt bin ich erst an dem Knochengebäude, und ich finde, daß von diesem, ebenso wie in der menschlichen Struktur, auch in dieser dramatischen alles abhängt. Ich möchte wissen, wie Sie in solchen Fällen zu Werk gegangen sind. Bei mir ist die Empfindung anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee.
    Nach einem Brief von Charlotte Kalb hatten wir heute Herdern hier zu erwarten. Ich habe aber nichts von ihm gesehen.
    Leben Sie recht wohl. Hier Cellini, der vorgestern vergessen wurde. Meine Frau grüßt bestens.
Schiller

170-171 An Schiller [160]

    Cellini wartet hier auf. Ehe Sie zurückkommen, hoffe ich, einen guten Anfang zu der folgenden Lieferung gemacht zu haben.
    Auch liegt die Anzeige zu Egmont bei, wozu ich nach Standesgebühr die Titulaturen zu setzen bitte. Ich wünsche das Blatt durch den Boten wieder zurück zu erhalten.
    Die guten Wirkungen unserer vierwöchentlichen Abenteuer werden wir erst nach einiger Zeit der Ruhe und Sammlung empfinden.
    Leben Sie recht wohl, und haben Sie nochmals Dank für den treuen Beistand.

Weimar, den 21. April 1796
Goethe

171 An Goethe [161]

Jena, den 21. April 1796

    Den schönsten Dank für die prompte Übersendung des Cellini.
    Das Personenverzeichnis von Egmont folgt hier spezifiziert und tituliert zurück.
    Wir sind gestern recht wohl hier angelangt, aber mit der halben Seele bin ich noch immer in Weimar. Wie gut der dortige Aufenthalt im Physischen und Moralischen auf mich gewirkt, fühlte ich schon unmittelbar, und es wird sich gewiß in Tat und Wirkung beweisen. Leben Sie recht wohl. Meine Frau empfiehlt sich aufs beste. Montag abends, noch voll und trunken von der Repräsentation des Egmont, sehen wir uns wieder.
Schiller

    Der Überbringer bringt zugleich einige Kofferstränge, die wir von Ihnen mitgenommen.

171-172 An Schiller [162]

    Ich will mich heute abend und vielleicht morgen den ganzen Tag in der künstlichen Wüste halten, um zu sehen, wie es geht, und ob ich vielleicht in Ihrer Nähe bleiben kann, welches ich so sehr wünschte. Grüßen Sie die Freunde schönstens. Könnte Körner nicht bald nach Dresden schreiben und die Viktoria kommen lassen? Er könnte den Besitzer ersuchen, den genauesten Preis anzuzeigen, und zusichern, daß er entweder die Statue oder das Geld selbst mit zurückbringen wolle. Nur wäre zu bitten, daß sie recht gut eingepackt würde. Leben Sie recht wohl.

[Jena, Anfang Mai 1796]

Goethe

172 An Schiller [163]

   Ich werde durch einen Boten nach Weimar berufen und gehe sogleich dahin ab. Heute abend bin ich wieder da und sehe Sie morgen. Diese Fahrt mache ich gern nach unserer gestrigen Lektüre, denn wie sehr diese mich vorwärts gebracht hat, ist nicht auszudrücken. Schicken sie doch das Manuskript mit diesem Billet an die kleine Frau, wir wollen hoffen, daß diese Erweiterung des Publici uns auch etwas fördern werde. Hier einige Xenien und tausend Dank für alles Gute. Viel Grüße der Frauen. August freut sich auf Karlen.

[Jena, den 20. Mai 1796]

Goethe

172-173 An Schiller [164]

Eine nicht hält mich zurück, gar zwei sind's, die mir gebieten.

    Die schöne Übung in Distichen wird uns, wie ich hoffe, endlich dahin führen, daß wir uns in einzelnen Hexametern bedeutend ausdrücken. Lassen Sie mich fragen: wann Sie Ihre Villeggiatur antreten? und ob ich Sie heute nach Tische zu Hause antreffe? Ich bitte um den Glaskubus und das große hohle Prisma.
    Der Roman rückt gut von der Stelle. Ich befinde mich in einer wahrhaft poetischen Stimmung, denn ich weiß in mehr als einem Sinne nicht recht, was ich will noch soll.
    So geht es auch mit meiner Rückkehr nach Weimar. Zur nächsten Lieferung Cellini habe ich einen Stammbaum der Medicis aufgesetzt, insofern sie in dieser Lebensbeschreibung genannt werden.
    Was macht das Frauchen? Leben Sie recht wohl und lieben mich. Auf Hero und Leander habe ich große Hoffnung, wenn mir nur der Schatz nicht wieder versinkt.

[Jena, Ende Mai 1796]
Goethe

173 An Goethe [165]

Jena, den 10. Juni 1796

    Mögen Sie jetzt wieder in Ruhe sein und die Arbeit gut von statten gehen. Ich bin recht verlangend nach der Ausführung Ihrer vielfachen Ideen und erwarte recht bald etwas davon. Um die Abschrift der zwei fertigen Stücke bitte ich nochmals. Auch erinnere ich Sie an den Brief, den Sie Zeltern in Berlin schreiben wollen, und worin ich nur in zwei Worten unsers Almanachs zu gedenken bitte. Ich werde, wenn Sie es vorbereitet, alsdann auch an ihn schreiben und ihm etwas zu komponieren schicken.
    Hier sende ich Ihnen einige Schriftproben für den Druck des Almanachs. Ich habe dazu mein neuestes Gedicht gewählt, dem ich eine gute Aufnahme wünsche.
    Die Proben sehen noch nach nichts aus, weil sie nur roh sind abgezogen worden, aber ich wünschte zu wissen, welche Schrift Sie vorziehen. *)
    Hier folgen auch die Zeichnungen von Hirt, nebst dem Manuskript des Meisters.
    Meine Frau grüßt aufs schönste. Zwieback soll nach Verlangen geliefert werden.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

    *) Die Proben folgen auf den Montag. Göpferdt ist nicht ganz fertig geworden.

174 An Schiller [166]

    Nachdem ich glücklich in Weimar angekommen bin, habe ich mich sogleich dem strengsten Fleiß ergeben; Cellini, und ich hoffe der Roman, sollen bald davon zeugen. Haben Sie die Güte mir das siebente Buch nächstens zurückzuschicken. Hier folgen die versprochenen Epigramme; es sind doch dreißig an der Zahl! Leider ist auch hier der Haß doppelt so stark als die Liebe. Sobald Sie mit der Zusammenstellung fertig sind, so schicken Sie mir das Ganze ja gleich. Dadurch wird manches Xenion, das noch unvollendet da liegt, gewiß völlig fertig, und zu neuen gibt es wieder Anlaß.
    Das eine, der   G e f ä h r l i c h e,   habe ich nach Ihrer Idee gemacht; vielleicht nehmen Sie die Veränderung auf. Überhaupt wird mich beim Durchgehen der übrigen im allgemeinen der Gedanke leiten, daß wir bei aller Bitterkeit uns vor kriminellen Inkulpationen hüten.
    Die Idylle und noch sonst irgend ein Gedicht sollen bald auch kommen. Ich genieße nun in meinem Hause den völligsten Urlaub und erfreue mich über die ungeheuern Pensa, die ich vor mir sehe. Haben Sie nochmals Dank für alles Gute. Leben Sie recht wohl und lassen mir ja von sich und von den Ihrigen bald etwas hören.

Weimar, den 10. Juni 1796
Goethe

    Der Roman ist heute früh angekommen; in wenig Tagen hören Sie und erhalten Sie mehr. Die Zeichnungen zu Hirts Manuskript lagen nicht bei; es war, wie es scheint, eine Göpferdtsche Papierprobe.

174-175 An Goethe [167]

Jena, den 12. Juni 1796

    Die gestern überschickten Xenien haben uns viel Freude gemacht, und so überwiegend auch der Haß daran teil hat, so lieblich ist das Kontingent der Liebe dazu ausgefallen. Ich will die Musen recht dringend bitten, mir auch einen Beitrag dazu zu bescheren. Einstweilen nehmen Sie meine Ceres, als die erste poetische Gabe in diesem Jahre, freundlich auf, und fänden Sie einen Anstoß darin, so machen Sie mich doch darauf aufmerksam.
    Die Xenien hoffe ich Ihnen auf den nächsten Freitag in Abschrift schicken zu können. Ich bin auch sehr dafür, daß wir nichts Kriminelles berühren und überhaupt das Gebiet des frohen Humors so wenig als möglich verlassen. Sind doch die Musen keine Scharfrichter! Aber schenken wollen wir den Herren auch nichts.
    Körner schreibt, daß die Viktorie für acht Louisdor erhandelt und also Ihre sei. Er grüßt Sie mit seinem ganzen Hause aufs schönste.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

    Herder schreib mir gestern, und sehr freundschaftlich, schickte mir auch die Humanität. Er verspricht Beiträge sowohl zu den Horen als zum Almanach.

175-177 An Schiller [168]

    Hier kommt, mein Bester! eine ziemliche Sendung. Das Stück Cellini ist um fünf geschriebene Bogen kürzer geworden, die ich überhaupt auslassen will; sie enthalten die weitere Reise nach Frankreich und, weil er diesmal keine Arbeit findet, seine Rückkehr nach Rom. Ich werde davon nur einen kleinen Auszug geben, und so kann das nächste Stück seine Gefangenschaft in der Engelsburg enthalten, deren umständliche Erzählung ich auch abkürzen und etwa wieder vierzehn bis fünfzehn geschriebene Bogen liefern will.
    Zugleich kommt auch die   I d y l l e   und die Parodie, nicht weniger die Schriftprobe zurück.
    Das Gedicht ist gar schön geraten, die Gegenwart und die Allegorie, die Einbildungskraft und Empfindung, das Bedeutende und die Deutung schlingen sich gar schön in einander; ich wünschte es bald zu besitzen.
    Die große Schrift gefällt mir ganz wohl. Wenn Sie einen Korrektor finden, der vor dem Abdruck nicht allein die falschen, sondern auch die schlechten, ausgedruckten, ungleichen Buchstaben ausmerzt, und man sich beim Druck mit der Schwärze und sonst alle Mühe gibt, so wird kein großer Unterschied gegen den vorigen Almanach bemerklich werden. Es wäre recht gut wenn Sie sich auch wegen des Papiers und sonst bald entschieden und sodann anfangen ließen, zu drucken. Ich will meine kleinen Beiträge aufs möglichste beschleunigen. Das Gedicht des Cellini auf seine Gefangenschaft werden Sie und Herr Schlegel beurteilen, ob es der Mühe einer Übersetzung wert ist. Das Sonett habe ich schon neulich geschickt; Sie werden es allenfalls an dem bezeichneten Orte einrücken, so wie ich bitte, die beikommende Sendung Cellini mit der Feder in der Hand zu lesen; ich habe es nur ein einzigmal durchgehen können.
    Die Kupfer will ich sogleich besorgen. Wenn ich erst weiß, wer sie macht, und was sie kosten sollen, schreibe ich das weitere.
    Das siebente Buch des Romans geh' ich nochmals durch und hoffe es Donnerstag abzuschicken. Es fehlt nur ein äußeres Kompelle, so ist das achte Buch fertig, und dann können wir uns doch auf manche Weise extendieren. Ich habe einen Brief von Meyer, der die gegenwärtige Angst und Konfusion in Rom nicht genug beschreiben kann; er selbst wird nun wohl nach Neapel sein.
    Körnern danken Sie recht sehr für die Bemühung wegen der Viktorie. Das Kunstwerk wird mir immer werter; es ist wirklich unschätzbar.
    Herders zwei neue Bände habe ich auch mit großem Anteil gelesen. Der siebente besonders scheint mir vortrefflich gesehen, gedacht und geschrieben; der achte, soviel Treffliches er enthält, macht einem nicht wohl, und es ist dem Verfasser auch nicht wohl gewesen, da er ihn schrieb. Eine gewisse Zurückhaltung, eine gewisse Vorsicht, ein Drehen und Wenden, ein Ignorieren, ein kärgliches Verteilen von Lob und Tadel macht besonders das, was er von deutscher Literatur sagt, äußerst mager. Es kann auch an meiner augenblicklichen Stimmung liegen, mir kommt aber immer vor, wenn man von Schriften, wie von Handlungen, nicht mit einer liebevollen Teilnahme, nicht mit einem gewissen parteiischen Enthusiasmus spricht, so bleibt so wenig daran, das der Rede gar nicht wert ist. Lust, Freude, Teilnahme an den Dingen ist das einzige Reelle, und was wieder Realität hervorbringt; alles andere ist eitel und vereitelt nur.

Weimar, den 14. Juni 1796
Goethe

177 An Goethe [169]

Jena, den 17. Juni 1796

    Die Antwort auf Ihren lieben Brief verschieb' ich bis Montag und melde Ihnen hiermit bloß, daß wir heut Abend Voß erwarten, der sich schon durch ein Brieflein angekündigt hat. Er kann nur Einen Tag bleiben, reist Sonntag mit dem frühesten wieder fort und kommt nicht nach Weimar.
    S i e   hätte er sehr gewünscht hier zu treffen. Es steht also bei Ihnen, ob Sie ihm dieses Vergnügen machen wollen, wozu wir Sie freundlichst einladen. Er kommt von Gibichenstein und bringt hoffentlich auch noch Reichardten mit — eine Szene, worauf ich mich beinahe freute.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

    Es ist jetzt gleich 10 Uhr abends und Voß ist noch nicht hier — doch zweifle ich gar nicht, daß er kommt.

178 An Schiller [170]

    Es tut mir recht leid, daß ich Voß nicht sehe; gute persönliche Verhältnisse sollte man ja nicht versäumen, von Zeit zu Zeit durch die Gegenwart wieder zu erneuern. Leider darf ich mich gegenwärtig nicht einen Augenblick zerstreuen; der Roman ist so gut und glücklich im Gange, daß Sie, wenn es so fortgeht, heute über acht Tage das achte Buch erhalten können, und da hätten wir denn doch eine sonderbare Epoche unter sonderbaren Aspekten geschlossen.
    Grüßen Sie Voßen recht sehr und erneuern auch in meinem Namen ein Verhältnis, das seiner Natur nach immer besser werden kann.
    Sollten noch andere Gäste, wie ich nicht hoffe, gegenwärtig sein, so will ich für dieselben gleich ein Gastgeschenk eingelegt haben:
„Komm nur von Gibichenstein, von Malepartus! Du bist noch
„Reineke nicht, du bist doch nur halb Bär und halb Wolf.“
    Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und Schlegeln. Ich habe Ihnen viel zu sagen und werde es, wenn das Glück gut ist, gleich in solche Formen bringen, daß Sie es zu den Horen und Almanach brauchen können. Adieu.

Weimar, den 18. Juni 1796
Goethe

    Fast hätte ich vergessen zu sagen, daß   R i c h t e r   hier ist. Er wird Sie mit Knebeln besuchen und Ihnen gewiß recht wohl gefallen.

178-180 An Goethe [171]

Jena, den 18. Juni 1796

    Voß ist noch nicht hier, wenigstens hab' ich noch nichts von ihm gesehen. Da ich sehr zweifle, ob Sie kommen werden, so lasse ich diesen Brief, zu dem sich eine schöne Gelegenheit darbietet, immer abgehen.
    Die Idylle hat mich beim zweiten Lesen so innig, ja noch inniger als beim ersten bewegt. Gewiß gehört sie unter das Schönste, was Sie gemacht haben, so voll Einfalt ist sie, bei einer unergründlichen Tiefe der Empfindung. Durch die Eilfertigkeit, welche das wartende Schiffsvolk in die Handlung bringt, wird der Schauplatz für die zwei Liebenden so enge, so drangvoll und so bedeutend der Zustand, daß dieser Moment wirklich den Gehalt eines ganzen Lebens bekommt. Es würde schwer sein, einen zweiten Fall zu erdenken, wo die Blume des Dichterischen von einem Gegenstande so rein und so glücklich abgebrochen wird. Daß Sie die Eifersucht so dicht daneben stellen und das Glück so schnell durch die Furcht wieder verschlingen lassen, weiß ich vor meinem Gefühl noch nicht ganz zu rechtfertigen, obgleich ich nichts befriedigendes dagegen einwenden kann. Dieses fühle ich nur, daß ich die glückliche Trunkenheit, mit der Alexis das Mädchen verläßt und sich einschifft, gerne immer festhalten möchte.
    Herders Buch machte mir ziemliche dieselbe Empfindung wie Ihnen, nur daß ich auch hier, wie gewöhnlich bei seinen Schriften, immer mehr von dem, was ich zu besitzen glaubte, verliere, als ich an neuen Realitäten dabei gewinne. Er wirkt dadurch, daß er immer aufs Verbinden ausgeht und zusammenfaßt, was andere trennen, immer mehr zerstörend als ordnend auf mich. Seine unversöhnliche Feindschaft gegen den Reim ist mir auch viel zu weit getrieben, und was er dagegen aufbringt, halte ich bei weitem nicht für bedeutend genug. Der Ursprung des Reims mag noch so gemein und unpoetisch sein, man muß sich an den Eindruck halten, den er macht, und dieser läßt sich durch kein Räsonnement wegdisputieren.
    An seinen Konfessionen über die deutsche Literatur verdrießt mich, noch außer der Kälte für das Gute, auch die sonderbare Art von Toleranz gegen das Elende; es kostet ihn ebenso wenig, mit Achtung von einem Nicolai, Eschenburg u. a. zu reden, als von dem bedeutendsten, und auf eine sonderbare Art wirft er die Stolberge und mich, Kosegarten und wie viel andere noch in einen Brei zusammen. Seine Verehrung gegen Kleist, Gerstenberg und Geßner — und überhaupt gegen alles Verstorbene und Vermoderte hält gleichen Schritt mit seiner Kälte gegen das Lebendige.
    Sie haben unterdessen Richtern kennen lernen. Ich bin sehr begierig, wie Sie ihn gefunden haben. Charlotte Kalb ist hier, um die Frau v. Stein zu pflegen. Sie sagt mir, daß es sich mit Iffland so gut als zerschlagen habe, und spricht überhaupt mit großer Kälte von dieser Acquisition für das weimarische Theater. Der Enthusiasmus für Iffland scheint sich noch einige Monate früher, als wir dachten, verloren zu haben.
    Humboldt wird Ihnen nun wohl schon selbst geschrieben haben. Er ist von der Idylle ganz außerordentlich befriedigt. Auch schreibt er, daß der Cellini außerordentlich gefalle.
    Die Xenien erhalten Sie auf den Montag. Zur Verknüpfung der verschiedenartigen Materien sind noch manche neue nötig, wobei ich auf Ihren guten Genius meine Hoffnung setze. Die Homerischen Parodien habe ich, weil sie sich an das Ganze nicht anschließen wollen, herauswerfen müssen, und ich weiß noch nicht recht, wie ich die Totenerscheinungen werde unterbringen können. Gar zu gern hätte ich die lieblichen und gefälligen Xenien an das Ende gesetzt, denn auf den Sturm muß die Klarheit folgen. Auch mir sind einige in dieser Gattung gelungen, und wenn jeder von uns nur noch ein Dutzend in dieser Art liefert, so werden die Xenien sehr gefällig enden.
    Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt Sie aufs schönste. Mit ihrer Gesundheit ist es noch das alte.
Schiller

180-181 An Goethe [172]

Jena, den 20. Juni 1796

    Voß ist noch nicht gekommen; er schrieb nur kurz, daß unangenehme Störer die Reise rückgängig machten. Es tut mir wirklich leid, seine persönliche Bekanntschaft nicht gemacht zu haben, indessen wäre sie mit einem sehr unangenehmen Auftritt erkauft worden, weil Reichardt, wie ich heute von hallischen Fremden erfuhr, ihn wirklich hat begleiten wollen. Die unvermeidliche Grobheit, die ich gegen diesen Gast hätte beweisen müssen, würde Voßen in große Verlegenheit gesetzt, und wahrscheinlich ganz und gar verstimmt haben.
    Zu den Progressen, die der Roman macht, wünsche ich von Herzen Glück. Der Tag, der mir den Rest bringt, soll auch mir ein Fest sein.
    Die neue Lieferung Cellini hat mich wieder sehr unterhalten. Die Krankheitsgeschichte ist ganz prächtig; auch die Begebenheiten in Florenz interessieren sehr und schließen sich schön an die Geschichte dieses Hauses. Die närrische Mixtur von Galanterie und Grobheit in dem Freund Benvenuto ist gar amüsant.
    Die Xenien kann ich heute noch nicht mitschicken. Mein Abschreiber ist ausgeblieben.
    Leben Sie recht wohl. Alle Neune seien mit Ihnen!
    Meine Frau grüßt schön. Den Zwieback haben Sie wohl nebst meinem Briefe vom Sonnabend erhalten.
Schiller

181-183 An Schiller [173]

    Ihre zwei lieben und werten Briefe, nebst dem Zwieback, habe ich erhalten, und da heute früh das Pensum am Romane geschrieben ist, will ich dieses Blatt für morgen voraus diktieren.
    Noch rückt das achte Buch ununterbrochen fort, und wenn ich die zusammentreffenden Umstände bedenke, wodurch etwas beinahe Unmögliches, auf einem ganz natürlichen Wege, noch endlich wirklich wird, so möchte man beinahe abergläubisch werden. So viel ist gewiß, daß mir gegenwärtig die lange Gewohnheit, Kräfte, zufällige Ereignisse, Stimmungen und wie sich uns Angenehmes und Unangenehmes aufdringen mag, im Augenblicke zu nutzen, sehr zu statten kommt; doch scheint meine Hoffnung, es schon künftigen Sonnabend zu schicken voreilig, gewesen zu sein.
    Ihr Gedicht, die   K l a g e   d e r   C e r e s,   hat mich wieder an verschiedene Versuche erinnert, die ich mir vorgenommen hatte, um jene Idee, die Sie so freundlich aufgenommen und behandelt haben, noch weiter zu begründen. Einige sind mir auch ganz unvermutet geglückt, und da ich eben voraussehen kann, in diesen schönen Sommermonaten einige Zeit zu Hause zu bleiben, so habe ich gleich Anstalt gemacht, eine Anzahl Pflanzen im Finstern zu erziehen und alsdann meine Erfahrungen mit denen, die schon bekannt sind, zu vergleichen.
    Daß Voß nicht gekommen ist, gefällt mir nicht an ihm, besonders da Sie sich, wie ich erst aus Ihrem Briefe sehe, noch einander nicht persönlich kennen. Es ist das eine Art von Schluderei und Unattention, deren man sich wohl in jüngern Jahren leider schuldig macht, vor der man sich aber, wenn man einmal Menschen schätzen lernt, so sehr als möglich hüten sollte. Am Ende hat ihn doch Reichardt abgehalten; denn daß diesem bei seinem Halbverhältnis zu uns nicht wohl sein kann, ist nur zu deutlich.
    Zelter in Berlin ist präpariert. Es wäre gut, wenn Sie nun auch gleich an ihn schreiben. Ich habe ein Lied Mignons, das ich gerne in Ihrem Almanach setzen möchte; im Roman wird es nur erwähnt. Es wäre die Frage, ob man Ungern selbst darüber nicht ein vertraulich Wort sagen sollte; wenn auch eine solche Erklärung auskäme, so wäre doch die Kriegserklärung geschehen, zu der wir je eher je lieber schreiten sollten.
    Xenien habe ich wieder einige Dutzend, nur gerade nicht von der notwendigsten Gattung.
    Daß die Idylle bei näherer Betrachtung Stand und Stich hält, freut mich sehr. Für die Eifersucht am Ende habe ich zwei Gründe. Einen aus der Natur: weil wirklich jedes unerwartete und unverdiente Liebesglück die Furcht des Verlustes unmittelbar auf der Ferse nach sich führt; und einen aus der Kunst: weil die Idylle durchaus einen pathetischen Gang hat und also das Leidenschaftliche bis gegen das Ende gesteigert werden mußte, da sie denn durch die Abschiedsverbeugung des Dichters wieder ins Leidliche und Heitere zurückgeführt wird. So viel zur Rechtfertigung des unerklärlichen Instinktes, durch welchen solche Dinge hervorgebracht werden.
    Richter ist ein so kompliziertes Wesen, daß ich mir die Zeit nicht nehmen kann, Ihnen meine Meinung über ihn zu sagen; Sie müssen und werden ihn sehen, und wir werden uns gern über ihn unterhalten. Hier scheint es ihm übrigens wie seinen Schriften zu gehn; man schätzt ihn bald zu hoch, bald zu tief, und niemand weiß das wunderliche Wesen recht anzufassen.
    Mit Cellini glückt es uns durchaus, und da es auch unsere Konvenienz ist, so lassen Sie uns das Eisen schmieden, solange es warm bleibt. Sagen Sie mir, wann Sie wieder eine Lieferung brauchen.
    Hier lege ich Ihnen ein Pasquill bei, das Sie in eine ganz eigene Welt führen wird, und das, ob es schon sehr ungleich ist, doch einige Kapitalspäße enthält und gewisse Hasenfüße, Heuchler, Philister und Pedanten toll genug durchnimmt. Lassen Sie es niemand sehen und schicken es gleich wieder zurück.

Abgeschickt den 22. Juni 1796
Goethe

183-184 An Goethe [174]

Jena, den 24. Juni 1796

    Sie haben wohl recht, daß die Broschüre mich in eine eigene Welt führen werde. Mein Leben lang hätte ich in mir selbst so eine Fratzensammlung nicht zusammenbringen können, und jeder Strich trägt den Stempel, daß man aus der Natur geschöpft hat. Es ist wirklich kein unmerkwürdiges Machwerk, so grob und plump es auch ist, und hat mich recht divertiert. Auch das gefällt mir, daß die politischen Feindschaften doch auch einen humoristischen Ausdruck zu nehmen anfangen. Es sollte wirklich Nachahmer finden.
    Meyers Lebhaftigkeit hat mich recht belustigt, und daß er mitten in seinem Italien die deutschen Affen und Esel sich so herzlich angelegen sein läßt. Schreiben Sie ihm nur, daß es ganz von ihm abhänge, wann er sich in dieses Gefecht der Trojer und Achäer mischen wolle. Er kann es gleich in dem ersten Brief tun, den er an Sie schreibt, und den wir drucken lassen können.
    Humboldt schrieb mir vorigen Mittwoch nur zwei Zeilen, um sein Nichtschreiben zu entschuldigen, auch bei Ihnen. Er wird Ihnen morgen die Idylle zurücksenden, auf die er gerne ausführliche antworten wollte. Seine Mutter wird bald sterben, und das hält ihn denn wahrscheinlich länger in B. fest.
    An Zelter schreibe ich, sobald ich ihm etwas zu senden weiß. Rieten Sie mir, meine Ceres komponieren zu lassen? Für den Gesang wär' sie wohl ein gutes Thema, wenn sie nicht zu groß ist. Indes haben wir, außer dem, was von Ihnen ist, wenig anderes für die Musik zu hoffen.
    Daß Sie ein Lied aus dem Meister in den Almanach geben können, ist köstlich. Nun wahrhaftig, wir wollen auf den diesjährigen Almanach uns etwas einbilden.
    Die Xenien erhalten Sie Montag früh ganz gewiß. Es sind, nach Abzug der weggebliebenen, noch sechshundertdreißig bis vierzig, und ich denke nicht, daß mehr als fünfzehn oder zwanzig von diesen werden ausgemustert werden. Da der Zusammenhang und die Vollständigkeit wohl noch achtzig neue nötig machen, so wird die Zahl wohl auf siebenhundert bleiben.
    Montag ein mehreres. Leben Sie recht wohl.
Schiller

184-185 An Schiller [175]

    Es ist mir sehr lieb, daß Ihnen das Fastnachtsspiel aus der andern Welt den gehörigen Spaß gemacht hat. Ich will doch nach den neuesten Reichstagssachen fragen und besonders nach einigen Broschüren, die in dieser angeführt sind; es wäre lustig, wenn wir auch ein Dutzend Xenien in jene Weltgegend werfen könnten.
    Schicken Sie mir diese lustigen Brüder nicht eher, als bis Sie den Roman haben; er kommt zu Anfang künftiger Woche, durch einen eigenen Boten, der die Xenien, wenn Sie solche parat halten, alsdann mit zurücknehmen kann. Lesen Sie das Manuskript erst mit freundschaftlichem Genuß und dann mit Prüfung, und sprechen Sie mich los, wenn Sie können. Manche Stellen verlangen noch mehr Ausführung, manche fordern sie, und doch weiß ich kaum, was zu tun ist; denn die Ansprüche, die dieses Buch an mich macht, sind unendlich und dürfen, der Natur der Sache nach, nicht ganz befriedigt werden, obgleich alles gewissermaßen aufgelöst werden muß. Meine ganze Zuversicht ruht auf Ihren Forderungen und Ihrer Absolution. Das Manuskript ist mir unter den Händen gewachsen, und überhaupt hätte ich, wenn ich in der Darstellung hätte wollen weitläufiger sein, und mehr Wasser des Räsonnements hätte zugießen wollen, ganz bequem aus dem letzten Bande zwei Bände machen können; so mag er denn aber doch in seiner konzentrierten Gestalt besser und nachhaltiger wirken.
    Grüßen Sie Humboldt, wenn Sie ihm schreiben. An Zelter wollen wir ehestens etwas zusammen machen, alsdann können Sie ja auch die Ceres zum Versuche mitschicken. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie die liebe Frau und schreiben Sie mir bald etwas von Ihrem beiderseitigen Befinden.

Weimar, den 25. Juni 1796
Goethe

185-186 An Schiller [176]

    Hier schicke ich endlich das große Werk und kann mich kaum freuen, daß es so weit ist; denn von einem so langen Wege kommt man immer ermüdet an. Ich habe es auch nur einmal durchsehen können, und Sie werden also manches nach der Intention zu supplieren haben. Es muß auf alle Fälle noch einmal durchgearbeitet und abgeschrieben werden.
    Wenn Sie dem Boten die Xenien mit zurückgeben können, so soll es mir angenehm sein.
    Ich habe in den nächsten zehn bis zwölf Tagen manches in allerlei Geschäften nachzuholen, mit denen ich wenigstens in Konnexion bleiben muß; alsdann hoffe ich die Horen und den Almanach am besten zu bedenken.
    Das Lied von Mignon habe ich, wie Sie sehen werden, des Effekts wegen, doch einschalten müssen; es gibt aber vielleicht ein anderes, das im Almanach nachzubringen ist.
    Leben Sie recht wohl; möge Sie diese Sendung recht gesund antreffen. Ich wünsche dieses Buch nicht eher zurück, als bis ich ganz bei mir aufgeräumt habe. Ich hoffe bald von Ihnen zu hören.

Weimar, den 26. Juni 1796
Goethe

186-187 An Goethe [177]

Jena, den 27. Juni 1796

    Herzlichen Dank für die Sendung. Sie trifft mich bei heiterm Sinne, und ich hoffe, sie mit ganzer Seele zu genießen.
    Der Abschied von einer langen und wichtigen Arbeit ist immer mehr traurig als erfreulich. Das ausgespannte Gemüt sinkt zu schnell zusammen, und die Kraft kann sich nicht sogleich zu einem neuen Gegenstand wenden. Eigentlich sollten Sie jetzt etwas zu   h a n d e l n   bekommen und einen lebendigen Stoff bearbeiten.
    Von den Xenien sende ich durch den Boten was fertig ist. Noch achtzig sind ohngefähr zurück, die das Botenmädchen bringen soll. Ich bin eben daran, diese, es sind gerade die freundlichen, mit einigen neuen zu vermehren, die eine glückliche Stimmung mir dargeboten hat. Überhaupt hoffe ich, daß der Schluß sehr gut ausfallen soll. Sie werden unter den hier folgenden gegen hundert neue Bekannte finden und einige ältere vermissen. Warum ich diese wegließ, läßt sich mündlich sagen. Streichen Sie nun ohne Schonung alles, was Ihnen aus irgend einer Rücksicht anstößig ist, weg. Unser Vorrat leidet eine strenge Wahl.
    In das Manuskript lassen Sie Ihren Spiritus nichts schreiben. Ich schicke dasselbe gern an Humboldt, der durch die Verschiedenheit der Handschrift dem Verfasser nicht auf die Spur geführt werden soll. Fallen Ihnen Überschriften ein, so bitte ich sie mit dem Bleistift zu bemerken.
    Um die Zahl der poetischen und gefälligen Xenien zu vermehren, wünschte ich Sie zu veranlassen, daß Sie durch die wichtigsten Antiken und die schönern italienischen Malerwerke eine Wanderung anstellten. Diese Gestalten leben in Ihrer Seele, und eine gute Stimmung wird Ihnen über jede einen schönen Einfall darbieten. Sei sind um so passendere Stoffe, da es lauter Individua sind.
    Leben Sie recht wohl, freuen Sie sich des Lebens und Ihres Werks. Wer hätte denn in der Welt sonst Ursache zur Freude?
    Meine Frau grüßt Sie herzlich und schmachtet recht nach dem achten Buche.
Schiller

187-189 An Goethe [178]

Jena, den 28. Juni 1796

    Erwarten Sie heute noch nichts Bestimmtes von mir über den Eindruck, den das achte Buch auf mich gemacht. Ich bin beunruhigt und bin befriedigt, Verlangen und Ruhe sind wunderbar vermischt. Aus der Masse der Eindrücke, die ich empfangen, ragt mir in diesem Augenblick Mignons Bild am stärksten hervor. Ob die so stark interessierte Empfindung hier noch mehr fordert, als ihr gegeben worden, weiß ich jetzt noch nicht zu sagen. Es könnte auch zufällig sein, denn beim Aufschlagen des Manuskripts fiel mein Blick zuerst auf das Lied, und dies bewegte mich so tief, daß ich den Eindruck nachher nicht mehr auslöschen konnte.
    Das Merkwürdigste an dem Totaleindruck scheint mir dieses zu sein, daß Ernst und Schmerz durchaus wie ein Schattenspiel versinken und der leichte Humor vollkommen darüber Meister wird. Zum Teil ist mir dieses aus der leisen und leichten Behandlung erklärlich; ich glaube aber noch einen andern Grund davon in der theatralischen und romantischen Herbeiführung und Stellung der Begebenheiten zu entdecken. Das Pathestische erinnert an den Roman, alles übrige an die Wahrheit des Lebens. Die schmerzhaftesten Schläge, die das Herz bekommt, verlieren sich schnell wieder, so stark sie auch gefühlt werden, weil sie durch etwas Wunderbares herbeigeführt wurden, und deswegen schneller als alles andere an die Kunst erinnern. Wie es auch sei, so viel ist gewiß, daß der Ernst in dem Roman nur Spiel und das Spiel in demselben der wahre und eigentliche Ernst ist, daß der Schmerz der Schein und die Ruhe die einzige Realität ist.
    Der so wiese aufgesparte Friedrich, der durch seine Turbulenz am Ende die reife Frucht vom Baume schüttelt und zusammenweht, was zusammen gehört, er scheint bei der Katastrophe gerade so, wie einer, der uns aus einem bänglichen Traum durch Lachen aufweckt. Der Traum flieht zu den andern Schatten, aber sein Bild bleibt übrig, um in die Gegenwart einen höheren Geist, in die Ruhe und Heiterkeit einen poetischen Gehalt, eine unendliche Tiefe zu legen. Diese Tiefe bei einer ruhigen Fläche, die, überhaupt genommen, Ihnen so eigentümlich ist, ist ein vorzüglicher Charakterzug des gegenwärtigen Romans.
    Aber ich will mir heute nichts mehr darüber zu sagen erlauben, so sehr es mich auch drängt; ich könnte Ihnen doch jetzt nichts Reifes geben. Könnten Sie mir vielleicht das Konzept vom siebenten Buche, wovon die Abschrift für Ungern gemacht worden ist, schicken, so wäre mir's sehr dienlich, das Ganze durch alle seine Details zu begleiten. Obgleich ich es noch in frischem Gedächtnis habe, so könnte mir doch manches kleinere Glied der Verbindung entschlüpft sein.
    Wie trefflich sich dieses achte Buch an das sechste anschließt, und wie viel überhaupt durch die Antizipation des letztern gewonnen worden ist, sehe ich klar ein. Ich möchte durchaus keine andere Stellung der Geschichte als gerade diese. Man kennt die Familie schon so lange, ehe sie eigentlich kommt, man glaubt in eine ganz anfanglose Bekanntschaft zu blicken, es ist eine Art von optischem Kunstgriff, der eine treffliche Wirkung macht.
    Einen köstlichen Gebrauch haben Sie von des Großvaters Sammlung zu machen gewußt; sie ist ordentlich eine mitspielende Person und rückt selbst an das Lebendige.
    Doch genug für heute. Auf den Sonnabend hoffe ich Ihnen mehr zu sagen.
    Hier der Rest der Xenien. Was heute folgt, ist, wie Sie sehen, noch nicht in dem gehörigen Zusammenhang, und alle meine Versuche, die verschiedenen Gruppen zusammenzubringen, sind mir mißglückt. Vielleicht helfen Sie mir aus der Not. Es wäre gar zu schön, wenn wir diese letzte Partie recht reich ausstatten könnten.
    Wenn ich den neuen Cellini in drei Wochen erhalte, so ist es gerade noch Zeit.
    Leben Sie recht wohl. Herzliche Grüße von meiner Frau, die eben im Roman vertieft ist.
    Vom Hesperus habe ich Ihnen noch nichts geschrieben. Ich habe ihn ziemlich gefunden, wie ich ihn erwartete; fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht. Doch sprach ich ihn nur einmal und kann also noch wenig von ihm sagen.
Schiller

190 An Schiller [179]

    Herzlich froh bin ich, daß wir auch endlich diese Epoche erreicht haben, und daß ich Ihre ersten Laute über das achte Buch vernehme. Unendlich viel ist mir das Zeugnis wert daß ich, im ganzen, das, was meiner Natur gemäß ist, auch hier, der Natur des Werks gemäß, hervorgebracht habe. Ich schicke hier das siebente Buch und werde, wenn ich Ihre Gesinnungen erst umständlicher weiß, mich mit Lust nochmals ans achte begeben.
    Etwa acht Tage wird meine Zeit durch äußere Geschäfte aufgezehrt werden, welches auch recht gut ist, denn man würde zuletzt über die Märchen selbst zur Fabel. Alsdann sollen die Xenien, Cellini und der Roman den übrigen Juli in sich teilen. Ich habe beinah Ihre Lebensart erwählt und geh auch kaum aus dem Hause.
    Die neuen Xenien von der würdigen, ernsten und zarten Art sind Ihnen sehr glücklich geraten; ich habe zur Komplettierung dieser Sammlung, auch von meiner Seite, allerlei Aussichten, wenn sich nur die Stimmung dazu findet.
    Es ist mir doch lieb, daß Sie Richtern gesehen haben; seine Wahrheitsliebe und sein Wunsch, etwas in sich aufzunehmen, hat mich auch für ihn eingenommen. Doch der gesellige Mensch ist eine Art von theoretischem Menschen, und wenn ich es recht bedenke, so zweifle ich, ob Richter im praktischen Sinne sich jemals uns nähern wird, ob er gleich im Theoretischen viele Anmutungen zu uns zu haben scheint.
    Leben Sie recht wohl und lassen uns diesen Monat viel an einander schreiben, denn das, was geschehen soll, verlangt viel Aufmunterung.

Weimar, den 29. Juni 1796
Goethe

190-191 An Schiller [180]

    Da ich nicht weiß, ob ich morgen früh Ihnen werde etwas sagen können, indem ich von allerlei äußeren Dingen gedrängt bin, so schicke ich einstweilen das   B e l o b u n g s s c h r e i b e n,   welches ich von Humboldt erhalten habe. Sowohl das viele Gute, was er sagt, als auch die kleinen Erinnerungen nötigen mich, auf dem schmalen Wege, auf dem ich wandle, desto vorsichtiger zu sein; ich hoffe von Ihren Bemerkungen über das achte Buch eine gleiche Wohltat. Leben Sie recht wohl; nächstens mehr.

Weimar, den 1. Juli 1796
Goethe

191-197 An Goethe [181]

Jena, den 2. Juli 1796

   Ich habe nun alle acht Bücher des Romans aufs neue, obgleich nur sehr flüchtig, durchlaufen, und schon allein die Masse ist so stark, daß ich in zwei Tagen kaum damit fertig worden bin. Billig sollte ich also heute noch nichts schreiben, denn die erstaunliche und unerhörte Mannigfaltigkeit, die darin, im eigentlichsten Sinne,   v e r s t e c k t   ist, überwältigt mich. Ich gestehe, daß ich bis jetzt zwar die   S t ä t i g k e i t,   aber noch nicht die   E i n h e i t   recht gefaßt habe, obwohl ich keinen Augenblick zweifle, daß ich auch über diese noch völlige Klarheit erhalten werde, wenn bei Produkten dieser Art die Stätigkeit nicht schon mehr als die halbe Einheit ist.
    Da Sie, unter diesen Umständen, nicht wohl etwas ganz Genugtuendes von mir erwarten können und doch etwas zu hören wünschen, so nehmen Sie mit einzelnen Bemerkungen vorlieb, die auch nicht ganz ohne Wert sind, da sie ein unmittelbares Gefühl aussprechen werden. Dafür verspreche ich Ihnen, daß diesen ganzen Monat über die Unterhaltung über den Roman nie versiegen soll. Eine würdige und wahrhaft ästhetische Schätzung des ganzen Kunstwerks ist eine große Unternehmung. Ich werde ihr die nächsten vier Monate ganz widmen, und mit Freuden. Ohnehin gehört es zu dem schönsten Glück meines Daseins, daß ich die Vollendung dieses Produkts erlebte, daß sie noch in die Periode meiner strebenden Kräfte fällt, daß ich aus dieser reinen Quelle noch schöpfen kann; und das schöne Verhältnis, das unter uns ist, macht es mir zu einer gewissen Religion, Ihre Sache hierin zu der meinigen zu machen, alles was in mir Realität ist, zu dem reinsten Spiegel des Geistes auszubilden, der in dieser Hülle lebt, und so, in einem höheren Sinne des Worts, den Namen Ihres Freundes zu verdienen. Wie lebhaft habe ich bei dieser Gelegenheit erfahren, daß das Vortreffliche eine Macht ist, daß es auf selbstsüchtige Gemüter auch nur als eine Macht wirken kann, daß es dem Vortrefflichen gegenüber keine Freiheit gibt als die Liebe.
    Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie sehr mich die Wahrheit, das schöne Leben, die einfache Fülle dieses Werks bewegte. Die Bewegung ist zwar noch unruhiger, als sie sein wird, wenn ich mich desselben ganz bemächtigt habe, und das wird dann eine wichtige Krise meines Geistes sein; sie ist aber doch der Effekt des Schönen, nur des Schönen, und die Unruhe rührt bloß davon her, weil der Verstand die Empfindung noch nicht hat einholen können. Ich verstehe Sie nun ganz, wenn Sie sagten, daß es eigentlich das Schöne, das Wahre sei, was Sie, oft bis zu Tränen, rühren könne. Ruhig und tief, klar und doch unbegreiflich wie die Natur, so wirkt es und so steht es da, und alles, auch das kleinste Nebenwerk, zeigt die schöne Gleichheit des Gemüts, aus welchem alles geflossen ist.
    Aber ich kann diesen Eindrücken noch keine Sprache geben, auch will ich jetzt nur bei dem achten Buche stehen bleiben. Wie ist es Ihnen gelungen, den großen so weit auseinander geworfenen Kreis und Schauplatz von Personen und Begebenheiten wieder so eng zusammenzurücken! Es steht da wie ein schönes Planetensystem; alles gehört zusammen, und nur die italienischen Figuren knüpfen, wie Kometengestalten, und auch so schauerlich wie diese, das System an ein Entferntes und Größeres an. Auch laufen alle diese Gestalten, sowie auch Mariane und Aurelie, völlig wieder aus dem Systeme heraus und lösen sich als fremdartige Wesen davon ab, nachdem sie bloß dazu gedient haben, eine poetische Bewegung darin hervorzubringen. Wie schön gedacht ist es, daß Sie das praktisch Ungeheure, das furchtbar Pathetische im Schicksal Mignons und des Harfenspielers von dem theoretisch Ungeheuern, von dem Mißgeburten des Verstandes ableiten, so daß der reinen und gesunden Natur nichts dadurch aufgebürdet wird. Nur im Schoß des dummen Aberglaubens werden diese monstrosen Schicksale ausgeheckt, die Mignon und den Harfenspieler verfolgen. Selbst Aurelia wird nur durch ihre Unnatur, durch ihre Mannweiblichkeit zerstört. Gegen Marianen allein möchte ich Sie eines poetischen Eigennutzes beschuldigen. Fast möchte ich sagen, daß sie dem Roman zum Opfer geworden, da sie der Natur nach zu retten war. Um   s i e   werden daher immer noch bittere Tränen fließen, wenn man sich bei den drei andern gern von dem Individuum ab zu der Idee des Ganzen wendet.
    Wilhelms Verirrung zu Theresen ist trefflich gedacht, motiviert, behandelt und noch trefflicher benutzt. Manchen Leser wird sie anfangs recht erschrecken, denn Theresen verspreche ich wenig Gönner; desto schöner reißen Sie ihn aber aus seiner Unruhe. Ich wüßte nicht, wie dieses falsche Verhältnis zärter, feiner, edler hätte gelöst werden können. Wie würden sich die Richardsons und alle andern gefallen haben, eine Szene daraus zu machen, und über dem Auskramen von delikaten Sentiments recht undelikat gewesen sein. Nur ein kleines Bedenken hab' ich dabei. Theresens mutige und entschlossene Widersetzlichkeit gegen die Partei, welche ihr ihren Bräutigam rauben will, selbst bei der erneuerten Möglichkeit Lotharn zu besitzen, ist ganz in der Natur und trefflich; auch daß Wilhelm einen tiefen Unwillen und einen gewissen Schmerz über die Neckerei der Menschen und des Schicksals zeigt, finde ich sehr gegründet — nur, deucht mir, sollte er den Verlust eines Glücks weniger tief beklagen, das schon angefangen hatte, keines mehr für ihn zu sein. In Nataliens Nähe müßte ihm, scheint mir, seine wieder erlangte Freiheit ein höheres Gut sein, als er zeigt. Ich fühle wohl die Komplikation dieses Zustands und was die Delikatesse forderte, aber auf der andern Seite beleidigt es einigermaßen die Delikatesse gegen Natalien, daß er noch im stand ist, ihr gegenüber den Verlust einer Therese zu beklagen!
    Eins, was ich in der Verknüpfung der Begebenheiten auch besonders bewundre, ist der große Vorteil, den Sie von jenem falschen Verhältnis Wilhelms zu Theresen zu ziehen gewußt haben, um das wahre und gewünschte Ziel, Nataliens und Wilhelms Verbindung, zu beschleunigen. Auf keinem andern Weg hätte dieses so schön und natürlich geschehen können, als gerade auf dem eingeschlagenen, der davon zu entfernen drohte. Jetzt kann es mit höchster Unschuld und Reinheit ausgesprochen werden, daß Wilhelm und Natalie füreinander gehören, und die Briefe Theresens an Natalien leiten es auf das schönste ein. Solche Erfindungen sind von der ersten Schönheit, denn sie vereinigen alles, was nur gewünscht werden kann, ja was ganz unvereinbar scheinet; sie verwickeln und enthalten schon die Auflösung in sich, sie beunruhigen und führen zur Ruhe, sie erreichen das Ziel, indem sie davon mit Gewalt zu entfernen scheinen.
    Mignons Tod, so vorbereitet er ist, wirkt sehr gewaltig und tief, ja so tief, daß es manchem vorkommen wird, Sie verlassen denselben zu schnell. Dies war beim ersten Lesen meine sehr stark markierte Empfindung; beim zweiten, wo die Überraschung nicht mehr war, empfand ich es weniger, fürchte aber doch, daß Sie hier um eines Haares Breite zu weit gegangen sein möchten. Mignon hat gerade vor dieser Katastrophe angefangen, weiblicher, weicher zu erscheinen und dadurch mehr durch sich selbst zu interessieren; die abstoßende Fremdartigkeit dieser Natur hatte nachgelassen, mit der nachlassenden Kraft hatte sich jene Heftigkeit in etwas verloren, die von ihr zurückschreckte. Besonders schmelzte das letzte Lied das Herz zu der tiefsten Rührung. Es fällt daher auf, wenn unmittelbar nach dem angreifenden Auftritt ihres Todes der Arzt eine Spekulation auf ihren Leichnam macht und das lebendige Wesen, die Person, so schnell vergessen kann, um sie nur als das Werkzeug eines artistischen Versuches zu betrachten; ebenso fällt es auf, daß Wilhelm, der doch die Ursache ihres Todes ist und es auch weiß, in diesem Augenblick für jene Instrumententasche Augen hat und in Erinnerungen vergangener Szenen sich verlieren kann, da die Gegenwart ihn doch so ganz besitzen sollte.
    Sollten Sie in diesem Falle auch vor der Natur ganz Recht behalten, so zweifle ich, ob Sie auch gegen die „sentimentalischen“ Forderungen der Leser es behalten werden, und deswegen möchte ich Ihnen raten — um die Aufnahme einer an sich so herrlich vorbereiteten und durchgeführten Szene bei dem Leser durch nichts zu stören — einige Rücksicht darauf zu nehmen.
    Sonst finde ich alles, was Sie mit Mignon, lebend und tot, vornehmen, ganz außerordentlich schön. Besonders qualifiziert sich dieses reine und poetische Wesen so trefflich zu diesem poetischen Leichenbegängnis. In seiner isolierten Gestalt, seiner geheimnisvollen Existenz, seiner Reinheit und Unschuld repräsentiert es die Stufe des Alters, auf der es steht, so rein, es kann zu der reinsten Wehmut und zu einer wahr menschlichen Trauer bewegen, weil sich nichts als die Menschheit in ihm darstellte. Was bei jedem andern Individuum unstatthaft — ja in gewissem Sinne empörend sein würde, wird hier erhaben und edel.
    Gerne hätte ich die Erscheinung des Marchese in der Familie noch durch etwas anderes als durch seine Kunstliebhaberei motiviert gesehen. Er ist gar zu unentbehrlich zur Entwicklung, und die   N o t d u r f t   seiner Dazwischenkunft könnte leicht stärker als die innere Notwendigkeit derselben in die Augen fallen. Sie haben durch die Organisation des übrigen Ganzen den Leser selbst verwöhnt und ihn zu strengeren Forderungen berechtigt, als man bei Romanen gewöhnlich mitbringen darf. Wäre nicht aus diesem Markese eine alte Bekanntschaft des Lothario oder des Oheims zu machen und seine Herreise selbst mehr ins Ganze zu verflechten?
    Die Katastrophe so wie die ganze Geschichte des Harfenspielers erregt das höchste Interesse. Wie vortrefflich ich es finde, daß Sie diese ungeheuren Schicksale von frommen Fratzen ableiten, habe ich oben schon erwähnt. Der Einfall des Beichtvaters, eine leichte Schuld ins Ungeheure zu malen, um ein schweres Verbrechen, das er aus Menschlichkeit verschweigt, dadurch abbüßen zu lassen, ist himmlisch in seiner Art und ein würdiger Repräsentant dieser ganzen Denkungsweise. Vielleicht werden Sie Speratens Geschichte noch ein klein wenig ins Kürzere ziehen, da sie in den Schluß fällt, wo man ungeduldiger zum Ziele eilt.
    Daß der Harfner der Vater Mignons ist, und daß Sie selbst dieses eigentlich nicht aussprechen, es dem Leser gar nicht hinschieben, macht nur desto mehr Effekt. Man macht diese Betrachtung nun selbst, erinnert sich, wie nahe sich diese zwei geheimnisvollen Naturen lebten, und blickt in eine unergründliche Tiefe des Schicksals hinab.
    Aber nichts mehr für heute. Meine Frau legt noch ein Brieflein bei und sagt Ihnen ihre Empfindungen bei dem achten Buche.
    Leben Sie jetzt wohl, mein geliebter, mein verehrter Freund! Wie rührt es mich, wenn ich denke, daß was wir sonst nur in der weiten Ferne eines begünstigten Altertums suchen und kaum finden, mir in Ihnen so nahe ist. Wundern Sie sich nicht mehr, wenn es so wenige gibt, die Sie zu verstehen fähig und würdig sind. Die bewundernswürdige Natur, Wahrheit und Leichtigkeit Ihrer Schilderungen entfernt bei dem gemeinen Volk der Beurteiler allen Gedanken an die Schwierigkeit, an die Größe der Kunst, und bei denen, die dem Künstler zu folgen im Stande sein könnten, die auf die Mittel wodurch er wirkt, aufmerksam sind, wirkt die genialische Kraft, welche sie hier handeln sehen, so feindlich und vernichtend, bringt ihr bedürftiges Selbst so sehr ins Gedränge, daß sie es mit Gewalt von sich stoßen, aber im Herzen und nur de mauvaise grace Ihnen gewiß am lebhaftesten huldigen.
Schiller

197-201 An Goethe [182]

Jena, den 3. Juli 1796

    Ich habe nun Wilhelms Betragen bei dem Verlust seiner Therese im ganzen Zusammenhang reiflich erwogen und nehme alle meine vorige Bedenklichkeiten zurück. So wie es ist, muß es sein. Sie haben darin die höchste Delikatesse bewiesen, ohne im geringsten gegen die Wahrheit der Empfindung zu verstoßen.
    Es ist zu bewundern, wie schön und wahr die drei Charaktere der   S t i f t s d a m e,   N a t a l i e n s   und   T h e r e s e n s   nuanciert sind. Die zwei ersten sind heilige, die zwei andern sind wahre und menschliche Naturen; aber eben darum, weil Natalie heilig und menschlich ist, so erscheint sie wie ein Engel, da die Stiftsdame nur eine Heilige, Therese nur eine vollkommene Irdische ist. Natalie und Therese sind beide Realistinnen; aber bei Theresen zeigt sich auch die Beschränkung des Realism, bei Natalien nur der Gehalt desselben. Ich wünschte, daß die Stiftsdame ihr das Prädikat einer schönen Seele nicht weggenommen hätte, denn nur Natalie ist eigentlich eine rein ästhetische Natur. Wie schön, daß sie die Liebe, als einen Affekt, als etwas Ausschließendes und Besonders gar nicht kennt, weil die Liebe ihre Natur, ihr permanenter Charakter ist. Auch die Stiftsdame kennt eigentlich die Liebe nicht — aber aus einem unendlich verschiedenen Grunde.
    Wenn ich Sie recht verstanden habe, so ist es gar nicht ohne Absicht geschehen, daß Sie Natalien unmittelbar von dem Gespräch über die Liebe und über ihre Unbekanntschaft mit dieser Leidenschaft den Übergang zu dem Saal der Vergangenheit nehmen lassen. Gerade die Gemütsstimmung, in welche man durch diesen Saal versetzt wird, erhebt über alle Leidenschaft, die Ruhe der Schönheit bemächtiget sich der Seele, und diese gibt den besten Aufschluß über Nataliens liebefreie und doch so liebevolle Natur.
    Dieser Saal der Vergangenheit vermischt die ästhetische Welt, das Reich der Schatten im idealen Sinn, auf eine herrliche Weise mit dem lebendigen und wirklichen, so wie überhaupt aller Gebrauch, den Sie von den Kunstwerken gemacht, solche gar trefflich mit dem Ganzen verbindet. Es ist ein so froher freier Schritt aus der gebundenen engen Gegenwart heraus und führt doch immer so schön zu ihr zurücke. Auch der Übergang von dem mittlern Sarkophag zu Mignon und zu der wirklichen Geschichte ist von der höchsten Wirkung. Die Inschrift:   G e d e n k e   z u   l e b e n   ist trefflich und wird es noch viel mehr, da sie an das verwünschte Memento mori erinnert und so schön darüber triumphiert.
    Der Oheim mit seinen sonderbaren Idiosynkrasien für gewisse Naturkörper ist gar interessant. Gerade solche Naturen haben eine so bestimmte Individualität und so ein starkes Maß von Empfänglichkeit, als der Oheim besitzen muß, um das zu sein, was er ist. Seine Bemerkung über die Musik, und daß sie ganz rein zu dem Ohre sprechen solle, ist auch voll Wahrheit. Es ist unverkennbar, daß Sie in diesen Charakter am meisten von Ihrer eigenen Natur gelegt haben.
    Lothario hebt sich unter allen Hauptcharakteren am wenigsten heraus, aber aus ganz objektiven Gründen. Ein Charakter wie dieser kann in dem Medium, durch welches der Dichter wirkt, nie ganz erscheinen. Keine einzelne Handlung oder Rede stellt ihn dar; man muß ihn sehen, man muß ihn selbst hören, man muß mit ihm leben. Deswegen ist es genug, daß die, welche mit ihm leben, in dem Vertrauen und in der Hochschätzung gegen ihn so ganz einig sind, daß alle Weiber ihn lieben, die immer nach dem Totaleindruck richten, und daß wir auf die Quellen seiner Bildung aufmerksam gemacht werden. Es ist bei diesem Charakter der Imagination des Lesers weit mehr überlassen als bei den andern, und mit dem vollkommensten Rechte; denn er ist ästhetisch, er muß also von dem Leser selbst produziert werden, aber nicht willkürlich, sondern nach Gesetzen, die Sie auch bestimmt genug gegeben haben. Nur seine Annäherung an das Ideal macht, daß diese Bestimmtheit der Züge nie zur Schärfe werden kann.
    Jarno bleibt sich bis ans Ende gleich, und seine Wahl in Rücksicht auf Lydien setzt seinem Charakter die Krone auf. Wie gut haben Sie doch Ihre Weiber unterzubringen gewußt! — Charaktere wie Wilhelm, wie Lothario können nur glücklich sein durch Verbindung mit einem harmonierenden Wesen; ein Mensch wie Jarno kann es nur mit einem kontrastierenden werden; dieser muß immer etwas zu tun und zu denken und zu unterscheiden haben.
    Die gute Gräfin fährt bei der poetischen Wirtsrechnung nicht zum besten; aber auch hier haben Sie völlig der Natur gemäß gehandelt. Ein Charakter wie dieser kann nie auf sich selbst gestellt werden; es gibt keine Entwicklung für ihn, die ihm seine Ruhe und sein Wohlbefinden garantieren könnte; immer bleibt er in der Gewalt der Umstände, und daher ist eine Art negativen Zustandes alles, was für ihn geschehen kann. Das ist freilich für den Betrachter nicht erfreulich, aber es ist so, und der Künstler spricht hier bloß das Naturgesetz aus. Bei Gelegenheit der Gräfin muß ich bemerken, daß mir ihre Erscheinung im achten Buche nicht gehörig motiviert zu sein scheint. Sie kommt zu der Entwicklung, aber nicht   a u s   derselben.
    Der Graf souteniert seinen Charakter trefflich, und auch dieses muß ich loben, daß Sie ihn durch seine so gut getroffenen Einrichtungen im Hause an dem Unglück des Harfenspielers schuld sein lassen. Mit aller Liebe zur Ordnung müssen solche Pedanten immer nur Unordnung stiften.
    Die Unart des kleinen Felix, aus der Flasche zu trinken, die nachher einen so wichtigen Erfolg herbeiführt, gehört auch zu den glücklichsten Ideen des Plans. Es gibt mehrere dieser Art im Roman, die insgesamt sehr schön erfunden sind. Sie knüpfen auf eine so simple und naturgemäße Art das Gleichgültige an das Bedeutende und umgekehrt und verschmelzen die Notwendigkeit mit dem Zufall.
    Gar sehr habe ich mich über Werners traurige Verwandlung gefreut. Ein solcher Philister konnte allenfalls durch die Jugend und durch seinen Umgang mit Wilhelm eine Zeitlang emporgetragen werden; sobald diese zwei Engel von ihm weichen, fällt er, wie recht und billig, der Materie anheim, und muß endlich selber darüber erstaunen, wie weit er hinter seinem Freunde zurückgeblieben ist. Diese Figur ist auch deswegen so wohltätig für das Ganze, weil sie den Realism, zu welchem Sie den Helden des Romans zurückführen, erklärt und veredelt. Jetzt steht er in einer schönen menschlichen Mitte da, gleich weit von der   P h a n t a s t e r e i   und der   P h i l i s t e r h a f t i g k e i t,   und indem Sie ihn von dem Hange zur ersten so glücklich heilen, haben Sie vor der letztern nicht weniger gewarnt.
    Werner erinnert ich an einen wichtigen chronologischen Verstoß, den ich in dem Roman zu bemerken glaube. Ohne Zweifel ist es Ihre Meinung nicht, daß Mignon, wenn sie stirbt, einundzwanzig Jahre, und Felix zu derselben Zeit zehn oder elf Jahre alt sein soll. Auch der blonde Friedrich sollte wohl bei seiner letzten Erscheinung noch nicht etliche und zwanzig Jahr alt sein usf. Dennoch ist es wirklich so, denn von Wilhelms Engagement bei Serlo bis zu seiner Zurückkunft auf Lotharios Schloß sind wenigstens sechs Jahre verflossen. Werner, der im fünften Buche noch unverheiratet war, hat am Anfang des achten schon mehrere Jungens, die „schreiben und rechnen, handeln und trödeln, und deren jedem er schon ein eigenes Gewerb eingerichtet hat“. Ich denke mir also den ersten zwischen dem fünften und sechsten, den zweiten zwischen dem vierten und fünften Jahr; und da er sich doch auch nicht gleich nach des Vaters Tode hat trauen lassen und die Kinder auch nicht gleich da waren, so kommen zwischen sechs und sieben Jahre heraus, die zwischen dem fünften und achten Buche verflossen sein müssen.
    Humboldts Brief folgt hier zurücke. Er sagt sehr viel wahres über die Idylle; einiges scheint er mir nicht ganz so empfunden zu haben, wie ich's empfinde. So ist mir die treffliche Stelle:

„Ewig, sagte sie leise“

nicht sowohl ihres   E r n s t e s   wegen schön, der sich von selbst versteht, sondern weil das Geheimnis des Herzens in diesem einzigen Worte auf einmal und ganz, mit seinem unendlichen Gefolge, herausstürzt. Dieses einzige Wort, an dieser Stelle, ist statt einer ganzen langen Liebesgeschichte, und nun stehen die zwei Liebenden so gegeneinander, als wenn das Verhältnis schon jahrelang existiert hätte.
    Die Kleinigkeiten, die er tadelt, verlieren sich in dem schönen Ganzen; indessen möchte doch einige Rücksicht darauf zu nehmen sein, und seine Gründe sind nicht zu verwerfen. Zwei Trochäen in dem vordern Hemipentameter haben freilich zu viel Schleppendes, und so ist es auch mit den übrigen Stellen. Der Gegensatz mit dem   f ü r einander und   a n einander ist freilich etwas spielend, wenn man es strenge nehmen will — und strenge nimmt man es immer gern mit Ihnen.
    Leben Sie recht wohl. Ich habe eine ziemliche Epistel geschrieben, möchten Sie so gerne lesen, als ich schrieb.
Schiller

202-205 An Goethe [183]

Jena, den 5. Juli 1796

    Jetzt da ich das Ganze des Romans mehr im Auge habe, kann ich nicht genug sagen, wie glücklich der Charakter des Helden von Ihnen gewählt worden ist, wenn sich so etwas wählen ließe. Kein anderer hätte sich so gut zu einem   T r ä g e r   der Begebenheiten geschickt, und wenn ich auch ganz davon abstrahiere, daß nur an einem solchen Charakter das Problem aufgeworfen und aufgelöst werden konnte, so hätte schon zur bloßen   D a r s t e l l u n g   des Ganzen kein anderer so gut gepaßt. Nicht nur der   G e g e n s t a n d   verlangte ihn, auch der   L e s e r   brauchte ihn. Sein Hang zum Reflektieren hält den Leser im raschesten Laufe der Handlung still und nötigt ihn immer vor- und rückwärts zu sehen und über alles, was sich ereignet, zu denken. Er sammelt sozusagen den Geist, den Sinn, den innern Gehalt von allem ein, was um ihn herum vorgeht, verwandelt jedes dunkle Gefühl in einen Begriff und Gedanken, spricht jedes einzelne in einer allgemeineren Formel aus, legt uns von allem die Bedeutung näher, und indem er dadurch seinen eigenen Charakter erfüllt, erfüllt er zugleich aufs vollkommenste den Zweck des Ganzen.
    Der Stand und die äußere Lage, aus der Sie ihn wählten, macht ihn dazu besonders geschickt. Eine gewisse Welt ist ihm nun ganz neu, er wird lebhafter davon frappiert, und während daß er beschäftigt ist, sich dieselbe zu assimilieren, führt er auch uns in das Innere derselben und zeigt uns, was darin Reales für den Menschen enthalten ist. In ihm wohnt ein reines und moralisches Bild der Menschheit, an diesem prüft er jede äußere Erscheinung derselben, und indem von der einen Seite die Erfahrung seine schwankenden Ideen mehr bestimmen hilft, rektifiziert eben diese Idee, diese innere Empfindung gegenseitig wieder die Erfahrung. Auf diese Art hilft Ihnen dieser Charakter wunderbar, in allen vorkommenden Fällen und Verhältnissen, das rein Menschliche aufzufinden und zusammen zu lesen. Sein Gemüt ist zwar ein treuer, aber doch kein bloß passiver Spiegel der Welt, und obgleich seine Phantasie auf sein Sehen Einfluß hat, so ist dieses doch nur idealistisch, nicht phantastisch, poetisch, aber nicht schwärmerisch; es liegt dabei keine Willkür der spielenden Einbildungskraft, sondern eine schöne moralische Freiheit zum Grunde.
    Überaus wahr und treffend schildert ihn seine Unzufriedenheit mit sich selbst, wenn er Theresen seine Lebensgeschichte aufsetzt. Sein Wert liegt in seinem Gemüt, nicht in seinen Wirkungen, in seinem Streben, nicht in seinem Handeln; daher muß ihm sein Leben, sobald er einem andern davon Rechenschaft geben will, so gehaltleer vorkommen. Dagegen kann eine Therese und ähnliche Charaktere ihren Wert immer in barer Münze aufzählen, immer durch ein äußres Objekt dokumentieren. Daß Sie aber Theresen einen Sinn, eine Gerechtigkeit für jene höhere Natur geben, ist wieder ein sehr schöner und zarter Charakterzug; in ihrer klaren Seele muß sich auch das, was sie nicht in sich hat, abspiegeln können, dadurch erheben Sie sie auf einmal über alle jene bornierte Naturen, die über ihr dürftiges Selbst auch in der Vorstellung nicht hinaus können. Daß endlich ein Gemüt wie Theresens an eine ihr selbst so fremde Vorstellungs- und Empfindungsweise glaubt, daß sie das Herz, welches derselben fähig ist, liebt und achtet, ist zugleich ein schöner Beweis für die objektive Realität derselben, der jeden Leser dieser Stelle erfreuen muß.
    Es hat mich auch in dem achten Buche sehr gefreut, daß Wilhelm anfängt, sich jenen imposanten Autoritäten, Jarno und dem Abbé, gegenüber mehr zu fühlen. Auch dies ist ein Beweis, daß er seine Lehrjahre ziemlich zurückgelegt hat, und Jarno antwortet bei dieser Gelegenheit ganz aus meiner Seele: „Sie sind bitter, das ist recht schön und gut, wenn Sie nur erst einmal recht böse werden, so wird es noch besser sein.“ — Ich gestehe, daß es mir ohne diesen Beweis von Selbstgefühl bei unserm Helden peinlich sein würde, ihn mir mit dieser Klasse so eng verbunden zu denken, wie nachher durch die Verbindung mit Natalien geschieht. Bei dem lebhaften Gefühl für die Vorzüge des Adels und bei dem ehrlichen Mißtrauen gegen sich selbst und seinen Stand, das er bei so vielen Gelegenheiten an den Tag legt, scheint er nicht ganz qualifiziert zu sein, in diesen Verhältnissen eine vollkommene Freiheit behaupten zu können, und selbst noch jetzt, da Sie ihn mutiger und selbstständiger zeigen, kann man sich einer gewissen Sorge um ihn nicht erwehren. Wird er den Bürger je vergessen können, und muß er das nicht, wenn sich sein Schicksal vollkommen schön entwickeln soll? Ich fürchte, er wird ihn nie ganz vergessen; er hat mir zuviel darüber reflektiert; er wird, was er einmal so bestimmt außer sich sah, nie vollkommen in sich hineinbringen können. Lotharios vornehmes Wesen wird ihn, so wie Nataliens doppelte Würde des Standes und des Herzens, immer in einer gewissen Inferiorität erhalten. Denke ich mir ihn zugleich als den Schwager des Grafen, der das Vornehme seines Standes auch durch gar nichts Ästhetisches mildert, vielmehr durch Pedanterie noch recht heraussetzt, so kann mir zuweilen bange für ihn werden.
    Es ist übrigens sehr schön, daß Sie, bei aller gebührenden Achtung für gewisse äußere positive Formen, sobald es auf etwas rein Menschliches ankommt, Geburt und Stand in ihre völlige Nullität zurückweisen und zwar, wie billig, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Aber was ich für eine offenbare Schönheit halte, werden Sie schwerlich allgemein gebilliget sehen. Manchem wird es wunderbar vorkommen, daß ein Roman, der so gar nichts   „S a n s c u l o t t i s c h e s“   hat, vielmehr an manchen Stellen der Aristokratie das Wort zu reden scheint, mit drei Heiraten endigt, die alle drei Mißheiraten sind. Da ich an der Entwicklung selbst nichts anders wünsche, als es ist, und doch den wahren Geist des Werkes auch in Kleinigkeiten und Zufälligkeiten nicht gerne verkannt sehe, so gebe ich Ihnen zu bedenken, ob der falschen Beurteilung nicht noch durch ein paar Worte „in Lotharios Munde“ zu begegnen wäre. Ich sage in Lotharios Munde, denn dieser ist der aristokratischte Charakter, er findet bei den Lesern aus seiner Klasse am meisten Glauben, bei ihm fällt die Mésalliance auch am stärksten auf. Zugleich gäbe dieses eine Gelegenheit, die nicht so oft vorkommt, Lotharios vollendeten Charakter zu zeigen. Ich meine auch nicht, daß dieses bei der Gelegenheit selbst geschehen sollte, auf welche der Leser es anzuwenden hat; desto besser vielmehr, wenn es unabhängig von jeder Anwendung und nicht als Regel für einen einzelnen Fall aus seiner Natur herausgesprochen wird.
    Was Lothario betrifft, so könnte zwar gesagt werden, daß Theresens illegitime und bürgerliche Abkunft ein Familiengeheimnis sei; aber desto schlimmer, dürften alsdann manche sagen, so muß er die Welt hintergehen, um seinen Kindern die Vorteile seines Standes zuzuwenden. Sie werden selbst am besten wissen, wie viel oder wie wenig Rücksicht auf diese Armseligkeiten zu nehmen sein möchte.
    Für heute nichts weiter. Sie haben nun allerlei durcheinander von mir gehört und werden noch manches hören, wie ich voraussehe; möchte etwas darunter sein, was Ihnen dienlich ist!
    Leben Sie wohl und heiter.
Schiller

    Sollten Sie den Vieilleville in den nächsten acht Tagen entbehren können, so bittet meine Frau darum und auch ich wünschte eine Nachtlektüre darin zu finden.
    Haben Sie auch die Güte, mir die Auslage zu nennen, die Sie für meine Tapeten gehabt haben, und zugleich zwei Laubtaler dazu zu setzen, die ich Sie an Herrn Facius für das Horenpetschaft auszulegen bat. Der Kaviar, den Humboldt Ihnen schickte, und worüber ich mich mit ihm berechne, beträgt acht Reichstaler, welches ich für eine   g e n o s s e n e   Speise ziemlich viel finde.

206 An Schiller [184]

    Gleich, nachdem ich Ihren ersten Brief erhalten hatte, fing ich an, Ihnen etwas darauf zu sagen; nun überraschen mich, in meinen wahrhaft irdischen Geschäften, Ihre zwei folgenden Briefe, wahrhaft als Stimmen aus einer andern Welt, auf die ich nur horchen kann. Fahren Sie fort, mich zu erquicken und aufzumuntern! Durch Ihre Bedenken setzen Sie mich in den Stand, das achte Buch, sobald ich es wieder angreife, zu vollenden. Ich habe schon fast für alle Ihre Desideria eine Auskunft, durch die sich, selbst in meinem Geiste, das Ganze auch an diesen Punkten mehr verbindet, wahrer und lieblicher wird. Werden Sie nicht müde mir durchaus Ihre Meinung zu sagen, und behalten Sie das Buch noch diese acht Tage bei sich. Was Sie von Cellini bedürfen, bringe ich indes vorwärts; ich schreibe Ihnen nur summarisch, was ich am achten Buche noch zu arbeiten denke, und alsdann soll die letzte Abschrift Anfang August aus unsern Händen sein.
    Ihre Briefe sind jetzt meine einzige Unterhaltung, und wie dankbar ich Ihnen sei, daß Sie mir so auf einmal über so vieles weghelfen, werden Sie fühlen. Leben Sie recht wohl und grüßen Sei die liebe Frau.

Weimar, den 5. Juli 1796
Goethe

206-207 An Goethe [185]

Mittwoch Abend. [Jena, den 6. Juli 1796]

    Ich wollte mich diesen Nachmittag mit Ihnen und dem Meister beschäftigen, aber ich habe keinen freien Augenblick gehabt, und mein Zimmer wurde nicht leer von Besuchen. Jetzt, da ich schreibe, ist die Kalbische und Steinische Familie da; man spricht sehr viel von der Idylle und meint, daß „sie Sachen enthalte, die noch gar nicht seien von einem Sterblichen ausgesprochen worden.“ — Trotz aller Entzückung darüber skandalisierte sich doch die Familie Kalb an dem Päckchen, das dem Helden nachgetragen würde, welches sie für einen großen Fleck an dem schönen Werke hält. Das Produkt sei so   r e i c h,   und der Held führe sich doch wie ein armer Mann auf.
    Sie können denken, daß ich bei dieser Kritik aus den Wolken fiel. Es war mir so neu, daß ich glaubte, sie spräche von einem andern Produkte. Ich versicherte ihr aber, daß ich mich an einer solchen Art von Armut nicht stieße, wenn nur der andere Reichtum da sei.
    Leben Sie recht wohl. Auf den Freitag mehr.
Schiller

207-209 An Schiller [186]

    Herzlich danke ich Ihnen für Ihren erquickenden Brief und für die Mitteilung dessen, was Sie bei dem Roman, besonders bei dem achten Buche, empfunden und gedacht. Wenn dieses nach Ihrem Sinne ist, so werden Sie auch Ihren eigenen Einfluß darauf nicht verkennen, denn gewiß ohne unser Verhältnis hätte ich das Ganze kaum, wenigstens nicht auf diese Weise, zu Stande bringen können. Hundertmal, wenn ich mich mit Ihnen über Theorie und Beispiel unterhielt, hatte ich die Situationen im Sinne, die jetzt vor Ihnen liegen, und beurteilte sie im Stillen nach den Grundsätzen, über die wir uns vereinigten. Auch nun schützt mich Ihre warnende Freundschaft vor ein Paar in die Augen fallenden Mängeln, bei einigen Ihrer Bemerkungen habe ich das sogleich gefunden, wie zu helfen sei, und werde bei der neuen Abschrift davon Gebrauch machen.
    Wie selten findet man bei den Geschäften und Handlungen des gemeinen Lebens die gewünschte Teilnahme, und in diesem hohen ästhetischen Falle ist sie kaum zu hoffen, denn wie viele Menschen sehen das Kunstwerk an sich selbst, wie viele können es übersehen, und dann ist es doch nur die Neigung, die alles sehen kann, was es enthält, und die reine Neigung, die dabei noch sehen kann, was ihm mangelt. Und was wäre nicht noch alles hinzuzusetzen, um den einzigen Fall auszudrücken, in dem ich mich nur mit Ihnen befinde. —
    So weit war ich gleich nach Ihrem ersten Briefe gekommen, äußere und innere Hindernisse hielten mich ab, fortzufahren; auch fühle ich wohl, daß ich, selbst wenn ich ganz ruhig wäre, Ihnen gegen Ihre Betrachtungen keine Betrachtungen zurückgeben könnte. Was Sie mir sagen, muß, im ganzen und einzelnen, in mir praktisch werden, damit das achte Buch sich Ihrer Teilnahme recht zu erfreuen habe. Fahren Sie fort, mich mit meinem eigenen Werke bekannt zu machen, schon habe ich in Gedanken Ihren Erinnerungen entgegen gearbeitet, etwa künftigen Mittwoch will ich die Art und Weise von dem, was ich zu tun gedenke, nur summarisch anzeigen. Sonnabend den 16. wünschte ich das Manuskript zurück, und am gleichen Tage soll Cellini aufwarten.
    Sobald die Xenien abgeschrieben sind, schicke ich Ihr Exemplar zurück und arbeite indessen in meins hinein.
    Ich habe die Idylle Kneblen gegeben, um sie in Umlauf zu setzen; einige Bemerkungen, die er mir ins Haus brachte, sowie die, welche Sie mir mitteilen, überzeugen mich wieder aufs neue, daß es unsern Hörern und Lesern eigentlich an der   A u f m e r k s a m k e i t   fehlt, die ein so obligates Werk verlangt. Was ihnen gleich einleuchtet, das nehmen sie wohl willig auf, über alles, woran sie sich nach ihrer Art   s t o ß e n,   urteilen sie auch schnell ab, ohne vor- noch rückwärts, ohne auf den Sinn und Zusammenhang zu sehen, ohne zu bedenken, daß sie eigentlich den Dichter zu fragen haben, warum er dieses und jenes so und nicht anders machte? Ist doch deutlich genug ausgedrückt:
    S o r g l i c h   reichte die Mutter ein nach b e r e i t e t e s   Bündel.
    Es ist also keinesweges die ganze Equipage, die schon lange auf dem Schiff ist und dort sein muß, die Alte erscheint nur, in ihrer Mutter- und Frauenart, tätig im einzelnen, der Vater umfaßt die ganze Idee der Reise in seinem Segen. Der Sohn nimmt das Päckchen selbst, da der Knabe schon wieder weg ist, und um der Pietät gegen die Mutter willen und um das einfache goldne Alter anzuzeigen, wo man sich auch wohl selbst einen Dienst leistete. Nun erscheint, in der Gradation, auch das Mädchen gebend, liebend und mehr als segnend, der Knabe kommt wieder zurück, drängt und ist zum   T r a g e n   bei der Hand, da Alexis sich selbst kaum nach dem Schiffe tragen kann. Doch warum sag' ich das? und warum Ihnen? — Von der andern Seite betrachtet, sollte man vielleicht die Menschen, sobald sie nur einen guten Willen gegen etwas zeigen, auch mit gutem Willen mit seinem ästhetischen Gründen bekannt machen. — Nun seiht man aber, daß man nie ins Ganze wirken kann, und daß die Leser immer am einzelnen hängen, da vergeht einem denn Lust und Mut, und man überläßt sie in Gottes Namen sich selbst. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie die liebe Frau und danken ihr für das Briefchen; ich wünsche bald wieder von Ihnen zu hören.

Donnerstag [7. Juli]
Goethe

209-215 An Goethe [187]

Jena, den 8. Juli 1796

    Da Sie mir das achte Buch noch eine Woche lassen können, so will ich mich in meinen Bemerkungen vorderhand besonders auf dieses Buch einschränken; ist dann das Ganze einmal aus Ihren Händen in die weite Welt, so können wir uns mehr über die Form des Ganzen unterhalten, und Sie erweisen mir dann den Gegendienst, mein Urteil zu rektifizieren.
    Vorzüglich sind es zwei Punkte, die ich Ihnen, vor der gänzlichen Abschließung des Buches, noch empfehlen möchte.
    Der Roman, sowie er da ist, nähert sich in mehrern Stücken der Epopöe, unter andern auch darin, daß er Maschinen hat, die in gewissem Sinne die Götter oder das regierende Schicksal darin vorstellen. Der Gegenstand forderte dieses. Meisters Lehrjahre sind keine bloß blinde Wirkung der Natur, sie sind eine Art von Experiment. Ein verborgen wirkender höherer Verstand, die Mächte des Turms, begleiten ihn mit ihrer Aufmerksamkeit, und ohne die Natur in ihrem freien Gange zu stören, beobachten, leiten sie ihn von ferne und zu einem Zwecke, davon er selbst keine Ahnung hat, noch haben darf. So leise und locker auch dieser Einfluß von außen ist, so ist er doch wirklich da, und zu Erreichung des poetischen Zwecks war er unentbehrlich.   L e h r j a h r e   sind ein Verhältnisbegriff, sie fordern ihr Korrelatum, die   M e i s t e r s c h a f t,   und zwar muß die Idee von dieser letzten jene erst erklären und begründen. Nun kann aber diese Idee der Meisterschaft, die nur das Werk der gereiften und vollendeten Erfahrung ist, den Helden des Romans nicht selbst leiten; sie kann und darf nicht, als sein Zweck und sein Ziel   v o r   ihm stehen, denn sobald er das Ziel sich dächte, so hätte er es eo ipso auch erreicht; sie muß also als Führerin   h i n t e r   ihm stehen. Auf diese Art erhält das Ganze eine schöne Zweckmäßigkeit, ohne daß der Held einen Zweck hätte; der Verstand findet also ein Geschäft ausgeführt, indes die Einbildungskraft völlig ihre Freiheit behauptet.
    Daß Sie aber auch selbst bei diesem Geschäfte, diesem Zweck — dem einzigen in dem ganzen Roman, der wirklich ausgesprochen wird, selbst bei dieser geheimen Führung Wilhelms durch Jarno und den Abbé, alles Schwere und Strenge vermeiden, und die Motive dazu eher aus einer Grille, einer Menschlichkeit, als aus moralischen Quellen hergenommen haben, ist eine von den Ihnen eigensten Schönheiten. Der   B e g r i f f   einer Maschinerie wird dadurch wieder aufgehoben, indem doch die   W i r k u n g   davon bleibt, und alles bleibt, was die Form betrifft, in den Grenzen der Natur; nur das Resultat ist mehr, als die bloße sich selbst überlassene Natur hätte leisten können.
    Bei dem allen aber hätte ich doch gewünscht, daß Sie das Bedeutende dieser Maschinerie, die notwendige Beziehung derselben auf das   i n n e r e   Wesen, dem Leser ein wenig näher gelegt hätten. Dieser sollte doch immer klar in die Ökonomie des Ganzen blicken, wenn diese gleich den handelnden Personen verborgen bleiben muß. Viele Leser, fürchte ich, werden in jenem geheimen Einfluß bloß ein theatralisches Spiel und einen Kunstgriff zu finden glauben, um die Verwicklung zu vermehren, Überraschungen zu erregen u. dgl. Das achte Buch gibt nun zwar einen   h i s t o r i s c h e n   Aufschluß über alle einzelnen Ereignisse, die durch jene Maschinerie gewirkt wurden, aber den   ä s t h e t i s c h e n   Aufschluß über den innern Geist, über die poetische Notwendigkeit jener Anstalten gibt es nicht befriedigend genug; auch ich selbst habe mich erst bei dem zweiten und dritten lesen davon überzeugen können.
    Wenn ich überhaupt an dem Ganzen noch etwas auszustellen hätte, so wäre es dieses: „daß bei dem großen und tiefen Ernste, der in allem Einzelnen herrscht und durch den es so mächtig wirkt, die Einbildungskraft zu frei mit dem Ganzen zu spielen scheint.“ — Mir deucht, daß Sie hier die freie Grazie der Bewegung etwas weiter getrieben haben, als sich mit dem poetischen Ernste verträgt, daß Sie über dem gerechten Abscheu vor allem schwerfälligen, Methodischen und Steifen sich dem andern extrem genähert haben. Ich glaube zu bemerken, daß eine gewisse Kondescendenz gegen die schwache Seite des Publikums Sie verleitet hat, einen mehr theatralischen Zweck und durch mehr theatralische Mittel, als bei einem Roman nötig und billig ist, zu verfolgen.
    Wenn je eine poetische Erzählung der Hilfe des Wunderbaren und Überraschenden entbehren konnte, so ist es Ihr Roman; und gar leicht kann einem solchen Werke schaden, was ihm nicht nützt. Es kann geschehen, daß die Aufmerksamkeit mehr auf das Zufällige geheftet wird, und daß das Interesse des Lesers sich konsumiert, Rätsel aufzulösen, da es auf den innern Geist konzentriert bleiben sollte. Es kann geschehen, sage ich, und wissen wir nicht beide, daß es wirklich schon geschehen ist?
    Es wäre also die Frage, ob jenem Fehler, wenn es einer ist, nicht noch im achten Buche zu begegnen wäre. Ohnehin träfe er nur die Darstellung der Idee; an der Idee selbst bleibt gar nichts zu wünschen übrig. Es wäre also bloß nötig, dem Leser dasjenige etwas bedeutender zu machen, was er bis jetzt zu frivol behandelte, und jene theatralischen Vorfälle, die er nur als ein Spiel der Imagination ansehen mochte, durch eine deutlicher ausgesprochene Beziehung auf den höchsten Ernst des Gedichtes, auch vor der Vernunft zu legitimieren, wie es wohl implicite, aber nicht explicite geschehen ist. Der Abbé scheint mir diesen Auftrag recht gut besorgen zu können, und er wird dadurch auch sich selbst mehr zu empfehlen Gelegenheit haben. Vielleicht wäre es auch nicht überflüssig, wenn noch im achten Buch der nähern Veranlassung erwähnt würde, die Wilhelmen zu einem Gegenstand von des Abbé pädagogischen Planen machte. Diese Plane bekämen dadurch eine speziellere Beziehung, und Wilhelms Individuum würde für die Gesellschaft auch bedeutender erscheinen.

    Sie haben in dem achten Buch verschiedene Winke hingeworfen, was Sie unter den Lehrjahren und der Meisterschaft gedacht wissen wollen. Da der Ideen-Inhalt eines Dichterwerks, vollends bei einem Publikum wie das unsrige, so vorzüglich in Betrachtung kommt und oft das einzige ist, dessen man sich nachher noch erinnert, so ist es von Bedeutung, daß Sie hier völlig begriffen werden. Die winke sind sehr schön, nur nicht hinreichend scheinen sie mir. Sie wollten freilich den Leser mehr selbst finden lassen, als ihn geradezu belehren; aber eben weil Sie doch etwas heraussagen, so glaubt man, dieses sei nun auch alles, und so haben Sie Ihre Idee enger beschränkt, als wenn Sie es dem Leser ganz und gar überlassen hätten, sie herauszusuchen.
    Wenn ich das Ziel, bei welchem Wilhelm nach einer langen Reihe von Verirrungen endlich anlangt, mit dürren Worten auszusprechen hätte, so würde ich sagen: „Er tritt von einem leeren und unbestimmten Ideal in ein bestimmtes tätiges Leben, aber ohne die idealisierende Kraft dabei einzubüßen.“ Die zwei entgegengesetzten Abwege von diesem glücklichen Zustand sind in dem Roman dargestellt, und zwar in allen möglichen Nuancen und Stufen. Von jener unglücklichen Expedition an, wo er ein Schauspiel aufführen will, ohne an den Inhalt gedacht zu haben, bis auf den Augenblick, wo er — Theresen zu seiner Gattin wählt, hat er gleichsam den ganzen Kreis der Menschheit   e i n s e i t i g   durchlaufen; jene zwei Extreme sind die beiden höchsten Gegensätze, deren ein Charakter wie der seinige nur fähig ist, und daraus muß nun die Harmonie entspringen. Daß er nun, unter der schönen und heitern Führung der Natur (durch Felix) von dem Idealischen zum Reellen, von einem vagen Streben zum Handeln und zur Erkenntnis des wirklichen übergeht, ohne doch dasjenige dabei einzubüßen, was in jenem ersten strebenden Zustand Reales war, daß er Bestimmtheit erlangt, ohne die schöne Bestimmbarkeit zu verlieren, daß er sich begrenzen lernt, aber in dieser Begrenzung selbst, durch die Form, wieder den Durchgang zum unendlichen findet usf. — dieses nenne ich die Krise seines Lebens, das Ende seiner Lehrjahre, und dazu scheinen sich mir alle Anstalten in dem Werk auf das vollkommenste zu vereinigen. Das schöne Naturverhältnis zu seinem Kinde und die Verbindung mit Nataliens edler Weiblichkeit garantieren diesen Zustand der geistigen Gesundheit, und wir sehen ihn, wir scheiden von ihm auf einem Wege, der zu einer endlosen Vollkommenheit führet.
    Die Art nun, wie   S i e  sich über den Begriff der   L e h r j a h r e   und der   M e i s t e r s c h a f t   erklären, scheint beiden eine engere Grenze zu setzen. Sie verstehen unter den ersten bloß den Irrtum, dasjenige außer sich zu suchen, was der innere Mensch selbst hervorbringen muß; unter der zweiten die Überzeugung von der Irrigkeit jenes Suchens, von der Notwendigkeit des eignen Hervorbringens usw. Aber läßt sich das ganze Leben Wilhelms, so wie es in dem Romane vor uns liegt, wirklich auch vollkommen unter diesem Begriffe fassen und erschöpfen? Wird durch diese Formel alles verständlich? Und kann er nun bloß dadurch, daß sich das Vaterherz bei ihm erklärt, wie am Schluß des siebenten Buchs geschieht, losgesprochen werden? Was ich also hier wünschte, wäre dieses, daß die Beziehung aller einzelnen Glieder des Romans auf jenen philosophischen Begriff noch etwas klarer gemacht würde. Ich möchte sagen, die Fabel ist vollkommen wahr; auch die Moral der Fabel ist vollkommen wahr; aber das Verhältnis der einen zu der andern springt noch nicht deutlich genug in die Augen.
    Ich weiß nicht, ob ich mich bei diesen beiden Erinnerungen recht habe verständlich machen können; die Frage greift ins Ganze, und so ist es schwer, sie am Einzelnen gehörig darzulegen. Ein Wink ist aber hier auch schon genug.
    Ehe Sie mir das Exemplar der Xenien senden, so haben Sie doch die Güte, darin gerade auszustreichen, was Sie heraus wünschen, und zu unterstreichen, was Sie geändert wünschen. Ich kann dann eher meine Maßregeln nehmen, was noch zu tun ist.
    Möchte doch für die kleinen lieblichen Gedichte, die Sie noch zum Almanach geben wollten, und zu dem in petto habenden Gedicht von Mignon noch Stimmung und Zeit sich finden! Der Glanz des Almanachs beruht eigentlich ganz auf Ihren Beiträgen. Ich lebe und webe jetzt wieder in der Kritik, um mir den Meister recht klar zu machen, und kann nicht viel mehr für den Almanach tun. Dann kommen die Wochen meiner Frau, die der poetischen Stimmung nicht günstig sein werden.
    Sie empfiehlt sich Ihnen herzlich.
    Leben Sie recht wohl. Sonntag abends hoffe ich Ihnen wieder etwas zu sagen.
Schiller

    Wollten Sie wohl so gütig sein und mir den fünften Band der großen Muratorischen Sammlung aus der Bibliothek in W. verschaffen?
    Noch ein kleines Anliegen.
    Ich möchte gern Ihren Kopf vor den neuen Musenalmanach setzen, und habe heute an Bolt in Berlin geschrieben, ob er diese Arbeit noch übernehmen kann. Nun wünschte ich ihn aber lieber nach einem Gemälde, als nach Lipsens Kupferstich, und frage an: ob Sie sich entschließen könnten, das Porträt von Meyer dazu herzugeben?
    Wollten Sie dieses nicht gern aus der Hand lassen, so erlaubten Sie mir doch, daß ich es kopieren ließe, wenn sich in Weimar ein erträglicher Maler dazu findet?

215-218 An Schiller [188]

    Indem ich Ihnen, auf einem besondern Blatt, die einzelnen Stellen verzeichne, die ich nach Ihren Bemerkungen zu ändern und zu supplieren gedenke, so habe ich Ihnen für Ihren heutigen Brief den höchsten Dank zu sagen, indem Sie mich durch die in demselben enthaltnen Erinnerungen nötigen auf die eigentliche Vollendung des Ganzen aufmerksam zu sein. Ich bitte Sie, nicht abzulassen, um, ich möchte wohl sagen, mich aus meinen eignen Grenzen hinauszutreiben. Der Fehler, den Sie mit Recht bemerken, kommt aus meiner innersten Natur, aus einem gewissen realistischen Tic, durch den ich meine Existenz, meine Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde ich immer gerne inkognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten, den unbedeutendern Gegenstand oder doch den weniger bedeutenden Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin, und mich so, ich möchte sagen, zwischen mich selbst und zwischen meine eigene Erscheinung stellen. Sie wissen recht gut, teils wie es ist, teils wie es zusammenhängt.
    Nach dieser allgemeinen Beichte will ich gern zur besondern übergehn: daß ich ohne Ihren Antrieb und Anstoß, wider besser Wissen und Gewissen, mich auch dieser Eigenheit bei diesem Roman hätte hingehen lassen, welches denn doch, bei dem ungeheuern Aufwand, der darauf gemacht ist, unverzeihlich gewesen wäre, da alles das, was gefordert werden kann, teils so leicht zu erkennen, teils so bequem zu machen ist.
    So läßt sich, wenn die frühe Aufmerksamkeit des Abbés auf Wilhelmen rein ausgesprochen wird, ein ganz eigenes Licht und geistiger Schein über das Ganze werfen, und doch habe ich es versäumt; kaum daß ich mich entschließen konnte, durch Wernern etwas zugunsten seines Äußerlichen zu sagen.
    Ich hatte den Lehrbrief im siebenten Buch abgebrochen, in dem man bis jetzt nur wenige Denksprüche über Kunst und Kunstsinn lest. Die zweite Hälfte sollte bedeutende Worte über Leben und Lebenssinn enthalten, und ich hatte die schönste Gelegenheit, durch einen mündlichen Kommentar des Abbés die Ereignisse überhaupt, besonders aber die durch die Mächte des Turms herbeigeführten Ereignisse zu erklären und zu legitimieren, und so jene Maschinerie von dem Verdacht eines kalten Romanbedürfnisses zu retten und ihr einen ästhetischen Wert zu geben, oder vielmehr ihren ästhetischen Wert ins Licht zu stellen. — Sie sehen, daß ich mit Ihren Bemerkungen völlig einstimmig bin.
    Es ist keine Frage, daß die scheinbaren, von mir ausgesprochenen Resultate viel beschränkter sind als der Inhalt des Werks, und ich komme mir vor wie einer, der, nachdem er viele und große Zahlen übereinander gestellt, endlich mutwillig selbst Additionsfehler machte, um die letzte Summe aus Gott weiß was für einer Grille zu verringern.
    Ich bin Ihnen, wie für so vieles, auch dafür den lebhaftesten Dank schuldig, daß Sie, noch zur rechten Zeit, auf so eine entschiedene Art, diese perverse Manier zur Sprache bringen, und ich werde gewiß, insofern es mir möglich ist, Ihren gerechten Wünschen entgegengehn. Ich darf den Inhalt Ihres Briefes nur selbst an die schicklichen Orte verteilen, so ist der Sache schon geholfen. Und sollte mir's ja begegnen, wie denn die menschlichen Verkehrtheiten unüberwindliche Hindernisse sind, daß mir doch die letzten bedeutenden Worte nicht aus der Brust wollten, so werde ich Sie bitten zuletzt mit einigen kecken Pinselstrichen das noch selbst hinzuzufügen, was ich, durch die sonderbarste Naturnotwendigkeit gebunden, nicht auszusprechen vermag. Fahren Sie diese Woche noch fort, mich zu erinnern und zu beleben, ich will indes für Cellini und womöglich für den Almanach sorgen.

Weimar, den 9. Juli 1796
Goethe

[Beilag]
Zum achten Buche
  1. Die sentimentale Forderung bei Mignons Tod zu befriedigen.
  2. Der Vorschlag des Balsamierens und die Reflexion über das Band zurück zu rücken.
  3. Lothario kann bei Gelegenheit, da er von Aufhebung des Feudalsystems spricht, etwas äußern, was auf die Heiraten am Schlusse eine freiere Aussicht gibt.
  4. Der Marchese wird früher erwähnt, als Freund des Oheims.
  5. Das Prädikat der schönen Seele wird auf Natalien abgeleitet.
  6. Die Erscheinung der Gräfin wird motiviert.
  7. Werners Kindern wird etwas von ihren Jahren abgenommen.

218 An Schiller [189]

    Die Xenien erhalten Sie mit meinem Gutachten zurück; die ernsthaften und wohlmeinenden sind gegenwärtig so mächtig, daß man den Lumpenhunden, die angegriffen sind, mißgönnt, daß ihrer in so guter Gesellschaft erwähnt wird.
    Wegen des Porträts sehe ich nicht, wie wir es machen wollen. Es ist niemand hier, der es zu diesem Endzweck kopieren könnte; das Original selbst wegzugeben, ist allzu gefährlich, auch ist Bolt ein gefälliger aber, wie mir's scheint, kein gründlicher Künstler. Wie wär' es? Sie versparten Ihre freundschaftliche Absicht bis auf Meyers Zurückkunft, da wir denn in jedem Sinne etwas Gutes erwarten können.
    Grüßen Sie Ihre liebe Frau. Wollten Sie uns in dem Falle, daß sich die Familie vermehrt, für die erste Zeit Karln herüberschicken, so würde er Augusten sehr willkommen sein und in Gesellschaft der vielen Kinder, die sich in meinem Hause und Garten versammeln, sich recht wohl befinden. Leben sie wohl.

Weimar, den 9. Juli 1796
Goethe

    Muratori folgt. Vieilleville werden Sie erhalten haben.
    Die Rechnung nächstens.
    Durch verschiedne Einschränkungen wird die nächste Sendung Cellini auch nur drei gedruckte Bogen und einige Blätter.

218-224 An Goethe [190]

Jena, den 9. Juli 1796

    Es ist mir sehr lieb zu hören, daß ich Ihnen meine Gedanken über jene zwei Punkte habe klar machen können, und daß Sie Rücksicht darauf nehmen wollen. Das, was Sie Ihren realistischen Tic nennen, sollen Sie dabei gar nicht verleugnen. Auch das gehört zu Ihrer poetischen Individualität, und in den Grenzen von dieser müssen Sie ja bleiben; alle Schönheit in dem Werk muß   I h r e   Schönheit sein. Es kommt also bloß darauf an, aus dieser subjektiven Eigenheit einen objektiven Gewinn für das Werk zu ziehen, welches gewiß gelingt, sobald Sie wollen. Dem Inhalte nach muß in dem Werk   a l l e s   liegen, was zu seiner Erklärung nötig ist, und der Form nach muß es   n o t w e n d i g   darin liegen, der innere Zusammenhang muß es mit sich bringen — aber wie fest oder locker es zusammenhängen soll, darüber muß Ihre eigenste Natur entscheiden. Dem Leser würde es freilich bequemer sein, wenn Sie selbst ihm die Momente, worauf es ankommt, blank und bar zuzählten, daß er sie nur in Empfang zu nehmen brauchte; sicherlich aber hält es ihn bei dem Buche fester und führt ihn öfter zu demselben zurück, wenn er sich selber helfen muß. Haben Sie also nur dafür gesorgt, daß er gewiß findet, wenn er mit gutem Willen und hellen Augen sucht, so ersparen Sie ihm ja das Suchen nicht. Das Resultat eines solchen Ganzen muß immer die eigene, freie, nur nicht willkürliche Produktion des Lesers sein; es muß eine Art von Belohnung bleiben, die nur dem Würdigen zuteil wird, indem sie dem unwürdigen sich entziehet.
    Ich will, um es nicht zu vergessen, noch einige Erinnerungen hersetzen, worauf ich, in Rücksicht auf jene geheime Maschinerie, zu achten bitte. 1. Man wird wissen wollen, zu welchem Ende der Abbé oder sein Helfershelfer den Geist des alten Hamlet spielt. 2. Daß der Schleier mit dem Zettelchen „Flieh, flieh usw.“ zweimal erwähnt wird, erregt Erwartungen, daß diese Erfindung zu keinem unbedeutenden zwecke diene. Warum, möchte man fragen, treibt man Wilhelmen von der einen Seite von dem Theater, da man ihn doch von der andern zur Aufführung seines Lieblingsstücks und zu seinem Debüt behilflich ist? Man erwartet auf diese zwei Fragen eine mehr spezielle Antwort, als Jarno bis jetzt gegeben hat. 3) Möchte man wohl auch gerne wissen, ob der Abbé und seine Freunde, vor der Erscheinung Werners im Schlosse, schon gewußt, daß sie es bei dem Gutskauf mit einem so genauen Freund und Verwandten zu tun haben? ihrem Benehmen nach scheint es fast so, und so wundert man sich wieder über das Geheimnis, das sie Wilhelmen daraus gemacht haben. 4. Wäre doch zu wünschen, daß man die Quelle erführe, aus welcher der Abbé die Nachrichten von Theresens Abkunft schöpfte, besonders da es doch etwas befremdet, daß dieser wichtige Umstand so genau dabei interessierten Personen und die sonst so gut bedient sind, bis auf den Moment, wo der Dichter ihn braucht, hat ein Geheimnis bleiben können.
    Es ist wohl ein bloßer Zufall, daß die zweite Hälfte des Lehrbriefs weggeblieben ist, aber ein geschickter Gebrauch des Zufalls bringt in der Kunst, wie im Leben, oft das Trefflichste hervor. Mir deucht, diese zweite Hälfte des Lehrbriefs könnte im achten Buch, an einer weit bedeutenderen Stelle und mit ganz andern Vorteilen nachgebracht werden. die Ereignisse sind unterdessen vorwärts gerückt; Wilhelm selbst hat sich mehr entwickelt: er sowohl als der Leser sind auf jene praktischen Resultate über das Leben und den Lebensgebrauch weit besser vorbereitet; auch der Saal der Vergangenheit und Nataliens nähere Bekanntschaft können eine günstigere Stimmung dazu herbeigeführt haben. Ich riete deswegen sehr, jene Hälfte des Lehrbriefs ja nicht wegzulassen, sondern wo möglich den philosophischen Gehalt des Werkes — deutlicher oder versteckter — darin niederzulegen. Ohnehin kann, bei einem Publikum, wie nun einmal das deutsche ist, zu Rechtfertigung einer Absicht, und hier namentlich noch zu Rechtfertigung des Titels, der vor dem Buche steht und jene Absicht deutlich ausspricht, nie zu viel geschehen.
    Zu meiner nicht geringen Zufriedenheit habe ich in dem achten Buche auch ein paar Zeilen gefunden, die gegen die Metaphysik Fronte machen und auf das spekulative Bedürfnis im Menschen Beziehung haben. Nur etwas schmal und klein ist das Almosen ausgefallen, das Sie der armen Göttin reichen, und ich weiß nicht, ob man Sie mit dieser kargen Gabe quittieren kann. Sie werden wohl wissen, von welcher Stelle ich hier rede, denn ich glaube es ihr anzusehen, daß sie mit vielem Bedacht darein gekommen ist.
    Ich gestehe es, es ist etwas stark, in unserm spekulativischen Zeitalter einen Roman von diesem Inhalt und von diesem weiten Umfang zu schreiben, worin „das einzige was Not ist“ so leise abgeführt wird — einen so sentimentalischen Charakter, wie Wilhelm doch immer bleibt, seine Lehrjahre ohne Hilfe jener würdigen Führerin vollenden zu lassen. Das schlimmste ist, daß er sie wirklich in allem Ernste vollendet, welches von der Wichtigkeit jener Führerin eben nicht die beste Meinung erweckt.
    Aber im Ernste — woher mag es kommen, daß Sie einen Menschen haben erziehen und fertig machen können, ohne auf Bedürfnisse zu stoßen, denen die Philosophie nur begegnen kann? Ich bin überzeugt, daß dieses bloß der   ä s t h e t i s c h e n   R i c h t u n g   zuzuschreiben ist, die Sie in dem ganzen Romane genommen. Innerhalb der ästhetischen Geistesstimmung regt sich kein Bedürfnis nach jenen Trostgründen, die aus der Spekulation geschöpft werden müssen; sie hat Selbständigkeit, Unendlichkeit in sich; nur wenn sich das Sinnliche und das Moralische im Menschen feindlich entgegenstreben, muß bei der reinen Vernunft Hilfe gesucht werden. Die gesunde und schöne Natur braucht, wie Sie selbst sagen, keine Moral, ein Naturrecht, keine politische Metaphysik: Sie hätten ebensogut auch hinzusetzen können, sie braucht keine Gottheit, keine Unsterblichkeit um sich zu stützen und zu halten. Jene drei Punkte, um die zuletzt alle Spekulation sich dreht, geben einem sinnlich ausgebildeten Gemüt zwar Stoff zu einem poetischen Spiel, aber sie können nie zu ernstlichen Angelegenheiten und Bedürfnissen werden.
    Das einzige könnte man vielleicht noch dagegen erinnern, daß unser Freund jene ästhetische Freiheit noch nicht so ganz besitzt, die ihn vollkommen sicher stellte, in gewisse Verlegenheiten nie zu geraten, gewisser Hilfsmittel (der Spekulation) nie zu bedürfen. Ihm fehlt es nicht an einem gewissen philosophischen Hange, der allen sentimentalen Naturen eigen ist, und käme er also einmal ins Spekulative hinein, so möchte es, bei diesem Mangel eines philosophischen Fundaments, bedenklich um ihn stehen: denn nur die Philosophie kann das Philosophieren unschädlich machen; ohne sie führt es unausbleiblich zum Mystizism. (Die Stiftsdame selbst ist ein Beweis dafür. Ein gewisser ästhetischer Mangel machte ihr die Spekulation zum Bedürfnis, und sie verirrte zur Herrenhuterei, weil ihr die Philosophie nicht zu Hilfe kam; als Mann hätte sie vielleicht alle Irrgänge der Metaphysik durchwandert.)
    Nun ergeht aber die Forderung an Sie (der Sie auch sonst überall ein so hohes Genüge getan), Ihren Zögling mit vollkommener Selbständigkeit, Sicherheit, Freiheit und gleichsam architektonischer Festigkeit so hinzustellen, wie er ewig stehen kann, ohne einer äußern Stütze zu bedürfen; man will ihn also durch eine ästhetische Reife auch selbst über das Bedürfnis einer philosophischen Bildung, die er sich nicht gegeben hat, vollkommen hinweggesetzt sehen. Es fragt sich jetzt: ist er Realist genug, um nie nötig zu haben, sich an der reinen Vernunft zu halten? Ist er es aber nicht — sollte für die Bedürfnisse des Idealisten nicht etwas mehr gesorgt sein?
    Sie werden vielleicht denken, daß ich bloß einen künstlichen Umweg nehme, um Sie doch in die Philosophie hineinzutreiben; aber was ich noch etwa vermisse, kann sicherlich auch in Ihrer Form vollkommen gut abgetan werden. Mein Wunsch geht bloß dahin, daß Sie die Materien quaestionis nicht   u m g e h e n,   sondern ganz auf Ihre Weise lösen möchten. Was bei Ihnen selbst alles spekulative Wissen ersetzt und alle Bedürfnisse dazu Ihnen fremd macht, wird auch bei Meistern vollkommen genug sein. Sie haben den Oheim schon sehr vieles sagen lassen, und auch Meister berührt den Punkt einigemal sehr glücklich; es wäre also nicht so gar viel mehr zu tun. Könnte ich nur in Ihre Denkweise dasjenige einkleiden, was ich im Reich der Schatten und in den ästhetischen Briefen, der meinigen gemäß, ausgesprochen habe, so wollten wir sehr bald einig sein.
    Was Sie über Wilhelms Äußerliches Wernern in den Mund gelegt, ist von ungemein guter Wirkung für das Ganze. Es ist mir eingefallen, ob Sie den Grafen, der am Ende des achten Buches erscheint, nicht auch dazu nutzen könnten, Wilhelmen zu völligen Ehren zu bringen. Wie, wenn der Graf, der Zeremonienmeister des Romans, durch sein achtungsvolles Betragen und durch eine gewisse Art der Behandlung, die ich Ihnen nicht näher zu bezeichnen brauche, ihn auf einmal su seinem Stande heraus in einen höheren stellte, und ihm dadurch auf gewisse Art den noch fehlenden Adel erteilte? Gewiß, wenn selbst der Graf ihn distinguierte, so wäre das Werk getan.
    Über Wilhelms Benehmen im Saal der Vergangenheit, wenn er diesen zum erstenmal mit Natalien betritt, habe ich noch eine Erinnerung zu machen. Er ist mir hier noch zu sehr der alte Wilhelm, der im Hause des Großvaters am liebsten bei dem kranken Königssohn verweilte, und den der Fremde, im ersten Buch, auf einem so unrechten Wege findet. Auch noch jetzt bleibt er fast ausschließend bei dem bloßen   S t o f f   der Kunstwerke stehen und poetisiert mir zu sehr damit. Wäre hier nicht der Ort gewesen, den Anfang einer glücklicheren Krise bei ihm zu zeigen, ihn zwar nicht als Kenner, denn das ist unmöglich, aber doch als einen mehr objektiven Betrachter darzustellen, so daß etwa ein Freund, wie unser Meyer, Hoffnung von ihm fassen könnte?
    Sie haben Jarno schon im siebenten Buche so glücklich dazu gebraucht, durch seine harte und trockene Manier eine Wahrheit heraus zu sagen, die den Helden so wie den Leser auf einmal um einen großen Schritt weiter bringt: ich meine die Stelle, wo er Wilhelmen das Talent zum Schauspiele rundweg abspricht. Nun ist mir beigefallen, ob er ihm nicht in Rücksicht auf Theresen und Natalien einen ähnlichen Dienst, mit gleich gutem Erfolg für das Ganze, leisten könnte. Jarno scheint mir der rechte Mann zu sein, Wilhelmen zu sagen, daß Therese ihn nicht glücklich machen könne, und ihm einen Wink zu geben, welcher weibliche Charakter für ihn tauge. Solche einzelne dürrgesprochene Worte, im rechten Moment gesagt, entbinden auf einmal den Leser von einer schweren Last, und wirken wie ein Blitz, der die ganze Szene erleuchtet.

Montag [11. Juli] früh

    Ein Besuch hinderte mich gestern, diesen Brief abzusenden. Heute kann ich nichts mehr hinzusetzen, da es zu unruhig bei mir zugeht. Meine Frau ist ihrer Niederkunft nahe, und Starke vermutet sie schon heute. Für Ihr freundschaftliches Anerbieten, den Karl zu sich zu nehmen, danken wir Ihnen herzlich. Er ist uns nicht zur Last, da wir einige Personen mehr zur Bedienung angenommen und die Disposition mit den Zimmern gemacht haben, daß er nicht stört. Für Vieilleville und Muratori danke ich Ihnen bestens. Schlegel ist mit seiner Frau wieder hier angekommen; die kleine Paulus ist eilig nach Schwaben abgereist, ihre kranke Mutter zu besuchen. Leben sie recht wohl. Auf den Mittwoch hoffe ich Ihnen mit erleichtertem Herzen weitere Nachricht zu geben.
Schiller

224-225 An Goethe [191]

Montag [11. Juli] nachmittag 3 Uhr

    Vor zwei Stunden erfolgte die Niederkunft der kleinen Frau über Erwarten geschwind und ging unter Starkes Beistand leicht und glücklich vorüber. Meine Wünsche sind in jeder Rücksicht erfüllt, denn es ist ein Junge, frisch und stark, wie das Ansehen es gibt. Sie können wohl denken, wie leicht mir's ums Herz ist, um so mehr, da ich dieser Epoche nicht ohne Sorge, die Krämpfe möchten die Geburt übereilen, entgegensah.
    Jetzt also kann ich meine kleine Familie anfangen zu zählen; es ist eine eigene Empfindung, und der Schritt von eins zu zwei ist viel größer, als ich dachte.
    Leben Sie wohl. Die Frau grüßt; sie ist, die Schwäche abgerechnet, recht wohl auf.
Schiller

225-226 An Schiller [192]

    Zu dem neuen Ankömmling wünsche ich von Herzen Glück; mögen Sie recht viel Freude an dem Knabenpaar erleben. Grüßen Sie Ihre liebe Frau auf das beste und schönste von mir.
    Künftigen Sonnabend, wenn mir es möglich ist, komme ich, Sie zu besuchen. Über den Roman müssen wir nun notwendig mündlich konferieren, auch wegen der Xenien und mancher anderer Dinge, die ich auf dem Herzen habe; bei jenem wird die Hauptfrage sein: wo sich die   L e h r j a h r e   schließen, die eigentlich gegeben werden sollen, und inwiefern man Absicht hat, künftig die Figuren etwa noch einmal auftreten zu lassen. Ihr heutiger Brief deutet mir eigentlich auf eine Fortsetzung des Werks, wozu ich denn auch wohl Idee und Lust habe, doch davon eben mündlich. Was rückwärts notwendig ist, muß   g e t a n   werden, so wie man vorwärts   d e u t e n   muß, aber es müssen Verzahnungen stehen bleiben, die, so gut wie der Plan selbst, auf eine weitere Fortsetzung deuten; hierüber wünsche ich mich recht mit Ihnen auszusprechen. Schicken Sie mir nichts mit den Botenweibern und behalten das Manuskript. Die Xenien, Cellini und sonst noch was vielleicht bringe ich mit. Grüßen Sie Schlegeln und seine Frau; ich freue mich, beide diesmal zu finden.
    Daß die kleine Freundin, bei so einem unangenehmen Anlaß und in so einer kritischen Zeit, die Reise macht, ist mir nicht halb recht; es sieht in Schwaben wie am Ober- und Unterrheine höchst mißlich aus.
    Leben Sie recht wohl in Ihrem friedlichen Tal und genießen der schönen Jahrszeit wenigstens aus dem Fenster.

Weimar, den 12. Juli 1796
Goethe

226-227 An Goethe [193]

Dienstag Abend. 12. Juli

    Noch steht es um die kleine Gesellschaft so gut, als man's nur wünschen kann. Meine Frau getraut sich selbst zu stillen, welches mir auch sehr erwünscht ist.
    Donnerstag wird die Taufe sein. Wenn die Umstände so ruhig bleiben, wie sie jetzt sind, so wird mein Gemüt heiter genug sein, das achte Buch des Romans noch einmal mit Besonnenheit zu durchgehen, ehe ich es Ihnen zurücksende.
    Es hat nichts zu sagen, wenn die nächste Lieferung des Cellini auch kleiner ausfällt. Ich habe allerlei nicht Unbrauchbares, das Monatstück zu füllen.
    Sie haben mir noch nicht geschrieben, wie es mit der Zeichnung und dem Kupferstich zu Hirts Aufsatze steht.
    Daß ich Ihren Kopf nicht zu dem diesjährigen Almanach bekommen kann, tut mir sehr leid. Eine Verzierung müssen wir einmal haben, und das wäre doch die vernünftigste gewesen. Da ich unter den lebendigen keinen andern Kopf mag, so werde ich das Porträt von   U z,   der kürzlich verstorben ist, zu bekommen suchen. Es gibt uns so ein Ansehen von Billigkeit und Honnêteté, wenn wir einem aus der alten Zeit diese Ehre erweisen. Vielleicht können Sie mir durch   K n e b e l n   dazu verhelfen. Ich bezahle gern was ein Gemälde oder eine Zeichnung kosten kann.
    Leben Sie aufs beste wohl. Meine Frau grüßt schön. Frau Charlotte wird das Kind heben; es ist ihr eine große Angelegenheit, und sie verwunderte sich, daß sie es nicht in Ihrer Gesellschaft sollte, besonders da der Junge auch einen Wilhelm unter seinen Namen hat.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

227 An Schiller [194]

Weimar, den 13. Juli 1796

    Viel Glück zum guten Fortgang alles dessen, was sich aufs neue Lebendige bezieht. Grüßen Sei die liebe Frau und Frau Gevatterin. Zur Taufe hätte ich mich ohngebeten eingestellt, wenn ich diese Zeremonien nicht gar zu sehr verstimmten. Ich komme dafür Sonnabends, und wir wollen ein paar frohe Tage genießen. Leben Sie wohl. Heute erlebe ich auch eine eigne Epoche, mein Ehstand ist eben acht Jahre und die französische Revolution sieben Jahre alt.
Goethe

    Die Kupferstiche zu Hirts Abhandlung sind in der Arbeit und sollen gut werden. Den einen wollte man nicht unter vier Karolin machen, der andere soll etwas wohlfeiler kommen. Es ist freilich viel und genaue Arbeit daran.
    Knebel werde ich um Uz angehen.

227 An Schiller [195]

    In Hofrat Loders Gesellschaft bin ich gestern recht geschwinde herübergekommen. Am Roman wird eifrig abgeschrieben. Heute früh beim Pyrmonter habe ich mir einen kleinen Aufsatz ausgedacht, durch den ich zuerst mir und Ihnen Rechenschaft von meiner Methode, die Natur zu beobachten, zu geben gedenke, woraus künftig ein Vorbericht zu meinen Arbeiten dieser Art formiert werden kann. Hier ein Naturprodukt, das in dieser Jahrszeit geschwind verzehrt werden muß. Ich wünsche, daß es wohl schmecken und bekommen möge.

Weimar, den 20. Juli 1796
Goethe

228 An Goethe [196]

[Jena, den 22. Juli 1796]

    Nur zwei Zeilen zum Gruß nebst unserm schönsten Dank für den Fisch, der uns, nämlich meiner Schwiegermutter und mir und Schlegels, die wir dazu geladen, ganz vortrefflich geschmeckt hat.
    Ich bin von einer Depesche an Cotta und allerlei kleinen Notdürftigkeiten so erschöpft und ermüdet, daß ich heute nichts mehr schreiben kann noch will. Die Frankfurter Begebenheiten sollen Sie und Ihre Mutter, wie ich hoffe, nicht so schwer betroffen haben noch betreffen. Erfahren Sie etwas, was man in Zeitungen nicht lesen kann, über diese Vorfälle, so lassen Sie es mir doch auch zukommen. Leben sie recht wohl.

    Abends um 10 Uhr
Schiller

    Hier sagte man heute, der Koadjutor sei gefangen.

228-230 An Schiller [197]

    Ich habe zwei Briefe von Meyer erhalten, die mich sehr beruhigen; er hat sich mit einem Landsmanne nach Florenz zurückgezogen und ist lustig und guter Dinge, rezensiert schon die Arbeiten des Cellini und ist unglaublich erbaut von den Arbeiten der ältern Florentiner.
    Hierbei ein Briefchen das ich niemand zu zeigen bitte; wenn ich etwas weiter erfahre, so teile ich es mit. Frankfurt hat doch mehr gelitten, als wahrscheinlich war.
    Am Roman wird fleißig abgeschrieben. Künftigen Mittwoch hoffe ich die größte Hälfte zu überschicken. Es ist recht gut, daß ich so weit bin, und köstlich, daß Sie mir in der Beurteilung beistehn. In den jetzigen Augenblicken möchte die nötige Sammlung und Konzentration kaum möglich sein.
    Leben Sie recht wohl.

Weimar, den 22. Juli 1796
Goethe

Den 23. Juli

    Hier noch einige Nachrichten.
    Kursachsen macht Anstalten zu einem Kordon.
    Die Franzosen haben die Österreicher bei Gemünden repoussiert und waren also nur noch 5 Meilen von Würzburg. Wahrscheinlich sind sie dort schon angelangt und finden erstaunliche Magazine und gerettete Schätze.
    Nach allen Nachrichten gehen die sächsischen Kontingente zurück. Die Österreicher gehen hinter die Donau; Würzburg muß 12000 Pferde stellen, um sie retro zu spedieren.
    Würtemberg macht Friede und hat schon Waffenstillstand. Mannheim soll so gut wie verloren sein. Der Kaiserliche Hof läßt 30000 Mann aus Böhmen und Galizien kommen.
    Frankfurt hat 174 Häuser verloren, zahlt acht Millionen Livres Geld, 1½ Million Tuch und Zeug und eine Menge Vivres; dafür soll kein Einwohner ohne Urteil und Recht mortifiziert werden.

    So lauten ohngefähr die tröstlichen Nachrichten von verschiedenen Orten und Enden. Das Schicksal unserer Gegenden beruht bloß darauf: ob es möglich sein wird Zeit zu gewinnen. Einem ersten Anlauf und einer Streiferei wird man allenfalls widerstehen können. Daß der König von Preußen in Pyrmont und also doch die letzte Instanz bei der Hand ist, daß ihm und dem Landgrafen von Hessen selbst viel daran gelegen sein muß, einen Frieden für Kursachsen zu vermitteln, daß die Franzosen genug zu tun haben, den Österreichern durch Franken, Schwaben und Bayern nach Böhmen zu folgen, und sie auf ihrem eignen Grund und Boden zu bezwingen, das zusammen läßt uns einige Hoffnung schöpfen, wenn nicht diese, wie so viele andere, zu nichte wird.
    Von meiner Mutter habe ich noch keine Nachricht; sie wohnt auf dem großen Platz, wo die Hauptwache steht, und sieht grade die Zeil hinauf; sie hat also den ganzen Halbkreis der Stadt, der bombardiert wurde, vor ihren Augen gehabt.
    Ich habe indessen fortgefahren, meine Tonne zu wälzen. Wie die Abschrift des Romans vorrückt, habe ich die verschiedenen desiderata zu erledigen gesucht; mit welchem Glück, werden Sie beurteilen. Leben Sie recht wohl. Die Nachricht vom Koadjutor ist nicht wahrscheinlich, er hatte Raum und Zeit genug, sich nach Ulm zurückzuziehen; sogar das Condésche Korps, das in Freiburg stand, scheint sich gerettet zu haben. Was ich weiter vernehme, erfahren Sie auch.
Goethe

230-231 An Goethe [198]

Jena, den 25. Juli 1796

    In diesen letzten Tagen habe ich mich nicht wohl genug gefühlt, um über etwas, was uns interessiert, zu reden; auch heute enthalt' ich mich, denn der Kopf ist mir von einer schlaflosen Nacht zerstört.
    Die politischen Dinge, denen ich so gern immer auswich, rücken einem doch nachgerade sehr zu Leibe. Die Franzosen sind in Stuttgart, wohin die Kaiserlichen sich anfangs geworfen haben sollen, so daß jene die Stadt beschießen mußten. Ich kann das aber nicht glauben, da Stuttgart kaum Mauern hat, und es keinem Menschen der bei Sinnen ist, einfallen kann, sich auch nur drei Stunden darin halten zu wollen. Von meiner Familie habe ich seit mehreren Wochen keine Nachricht; die gegenwärtige ist aus einem Briefe der kleinen Paulus. Der Zusammenhang zwischen Stuttgart und Schorndorf war damals, wie die Kleine schrieb, gehemmt, und so sind also auch die Posten von daher abgeschnitten gewesen.
    Hier in meinem Hause geht es noch ganz gut, nur daß aus dem Stillen meiner Frau nichts zu werden scheint, weil nichts mehr kommt.
    Neulich erfuhr ich, daß Stolberg und wer sonst noch bei ihm war, den Meister feierlich verbrannt habe, bis auf das sechste Buch, welches er, wie Arndts Paradiesgärtlein, rettete und besonders binden ließ. Er hält es in allem Ernste für eine Anempfehlung der Herrenhuterei und hat sich sehr daran erbaut.
    Von Baggesen spukt ein Epigramm auf meinen Musenalmanach, worin die Epigramme übel wegkommen sollen. Die Pointe ist, daß „nachdem man erst idealische Figuren an dem Leser vorübergehen lassen, endlich ein venetianischer Nachttopf über ihn ausgeleert werde“. — Das Urteil wenigstens sieht einem begossenen Hunde sehr ähnlich. Ich empfehle Ihnen diese beiden Avis zu bestem Gebrauche. Haben Sie die Güte mir, was Sie noch von Xenien haben, zu senden, weil es jetzt mit dem Drucke sehr ernst ist.
    Mein voriger Musenalmanach ist in Wien verboten; wir haben also in Rücksicht auf den neuen um so weniger zu schonen.
    Folgendes Epigramm ist das Neueste aus Berlin, wie Sie sehn werden.

U n g e r
über seine beiden Verlagsschriften:
„W i l h e l m   M e i s t e r“   und das Journal   „D e u t s c h l a n d“.

Der Lettern neuen Schnitt dem Leser zu empfehlen,

Mußt' ich des Meisters Werk zur   e r s t e n   Probe wählen,
Die zweite ist, und dann ist alles abgetan,
Wenn selbst des Pfuschers Werk sie nicht verrufen kann.

    Leben Sie recht wohl. Das abgeschriebene achte Buch soll mich wieder aufs neue in Bewegung setzen. Über die naturhistorischen Dinge mündlich. Herder hat zum Almanach mancherlei geschickt; auch einiges, wovon geschrieben steht:

facit indignatio versum
Qualemcunque potest.

    Die Frau grüßt bestens.
Schiller

232 An Schiller [199]

    Ich schicke hier einen guten Brief von Meyer; es ist der zweite, den ich von Florenz erhalte, wo er sich ganz wohl befindet: ich wünsche nur, daß er sich mit recht breiter Ruhe daselbst festsetzen möge.
    Auf den Sonnabend schicke ich wohl noch ein paar Dutzend Xenien. Könnten Sie mir nicht, wie Sie beim Almanach vorwärts rucken, das Manuskript erst herüberschicken? Ich habe in den Xenien manche Stelle verändert, auch hie und da noch Überschriften gefunden, vielleicht wäre etwas davon zu brauchen.
    Die Abschrift des Romans geht vorwärts, und ich finde noch mancherlei darin zu tun; ich hoffe ihn den 3. oder den 6. August zu schicken; den 10. besuche ich Sie, und da, hoff' ich, wollen wir bald zum Schluß kommen.
    Bis dahin wird sich auch wohl das politische Unheil mehr aufgeklärt haben. Thüringen und Sachsen hat, so scheint es, Frist sich zu besinnen, und das ist schon viel Glück.
    Kants Aufsatz über die   v o r n e h m e   Art zu philosophieren, hat mir viel Freude gemacht; auch durch diese Schrift wird die Scheidung dessen, was nicht zusammen gehört, immer lebhafter befördert.
    Die Autodafés der Stolberge und die Epigramme der Baggesen sollen ihnen übel bekommen; sie haben ja so nur einen Kredit, weil man sie toleriert hat, und es wird keine große Mühe kosten, sie in den Kreis zu bannen, wohin sie gehören. Leben Sie recht wohl! Ich wünsche Ihrer Frau bei der Veränderung gute Gesundheit und dem Kleinen, bei seiner neuen Nahrung, Gedeihen. Ich werde indessen so fleißig als möglich sein, um einige Zeit in Ruhe bei Ihnen bleiben und mich über manche neue Unternehmung mit Ihnen unterhalten zu können.

Weimar, den 26. Juli 1796
Goethe

233 An Schiller [200]

    Sie haben so oft, nebst anderen Freunden, gewünscht, daß unsere Schauspieler manchmal in Jena spielen möchten; soeben tritt eine Epoche ein, wo wir sie von Lauchstädt aus zu Ihnen schicken können; ist alsdann das Theater einmal eingerichtet, so versteht sich, daß die Sache im Gang bleiben kann. Schreiben Sie mir doch ein wenig die Disposition der Gemüter, bringen Sie besonders die Frauens in Bewegung.
    Der Herzog hat (unter uns gesagt) mir die Sache ganz überlassen; an Gotha hat man ein Kompliment hierüber gemacht, und sie haben auch nichts dagegen; doch soll und mag ich die Sache nicht ohne Beistimmung der Akademie vornehmen. Ich werde sie aber nicht eher durch den Prorektor an den Senat bringen, als bis ich gewiß Majora vor mir habe. Lassen Sie also durch Ihre Bekannte und Freunde das Wünschenswerte einer solchen neuen Erscheinung recht ausbreiten und sagen mir bald Nachricht, wie es aussieht?
    Ich wünschte die Mère coupable auf kurze Zeit zu haben; ist sie noch in Ihren Händen, oder können Sie solche geschwind haben, so kann Herr Hofkammerrat Kirms, der dieses bringt, sie abends mitnehmen.
    Hier ein Brief von meiner Mutter.
    Schreiben Sie mir, wie die Ihrigen sich befinden.
    Übrigens ist alles in solcher Konfusion und Bewegung, daß die ästhetische Stimmung, die erforderlich wäre, den Roman nach unseren Wünschen zu vollenden, nur als eine Wundergabe erwartet werden kann. Indessen ist auch daran nicht ganz zu verzweifeln. Leben Sie recht wohl.

Weimar, den 28. Juli 1796
Goethe

233-235 An Goethe [201]

[Jena, den 28. Juli 1796]

    Hier die Xenien, welche mir baldmöglichst zurückzusenden bitte. Was ausgestrichen ist, bleibt teils weg, teils ist es schon gedruckt oder für den Druck herausgeschrieben. Änderungen in dem Ausgestrichenen sind also entweder unnötig oder auch schon zu spät. Die Namen unter den einzelnen Versen bedeuten nichts, und es ist auch nicht dabei geblieben.
    Für die Komödie will ich Stimmen zu werden suchen und gleich bei dem Hausherrn anfangen, der sonst dazu geneigt gewesen ist. Für meine Frau besonders wird es mir sehr lieb sein, wenn es zur Ausführung kommt. Diese befindet sich recht erträglich; der Kleine leidet viel von Säure und Krämpfen, doch scheint er sich nach und nach an die neue Nahrung zu gewöhnen. Man sollte nicht denken, daß man bei so viel Sorgen von innen und außen einen leidlichen Humor behalten oder gar Verse machen könnte. Aber die Verse sind vielleicht auch darnach.
    Für den Roman fürchte ich übrigens gar nichts. Das wenige, was noch zu tun ist, hängt von ein paar glücklichen Apperçus ab, und im äußern Gedränge pflegt man oft die wunderbarsten Offenbarungen zu erhalten.
    Meyers Stimme aus Florenz hat mich recht erquickt und erfreut. Es ist eine Lust, ihn zu hören, mit welcher zarten Empfänglichkeit er das Schöne aufnimmt, und bei einem so denkenden und analysierenden Geist, wie der seinige, ist diese Rührungsfähigkeit, diese offene Hingebung eine unendlich schätzbare Eigenschaft.
    Seine Idee zu einem Bilde scheint mir überaus glücklich und malerisch zu sein. Schreiben Sie ihm, so bitte ich ihm recht viel Freundschaftliches von mir zu sagen.
    Die Idylle ist abgedruckt, und ich werde den Probebogen nächstens schicken. Die zur Eisbahn gehörigen Xenien (Mittelalter und Individualität abgerechnet) habe ich in ein Gedicht zusammen gerückt und die einzelnen Überschriften weggelassen. Dasselbe läßt sich im kleinen auch noch bei einigen andern tun und wird die Mannigfaltigkeit der Formen vermehren. Vielleicht haben Sie auch Lust die Newtoniana so zu ordnen.
    Für den Brief Ihrer Mutter danken wir schönstens. Außer dem, was er historisches enthält, interessierte uns die Naivetät ihrer eigenen Art und Weise.
    Der Himmel weiß, wie es uns noch ergehen wird. Unter diesen Umständen werden Sie Meyers tröstliche Nachrichten über die Hinreise nach Italien schwerlich benutzen können.
    Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt schön.
Schiller

235-237 An Schiller [202]

    Die Xenien kommen sogleich wieder zurück; ich habe nur wenige Anmerkungen gemacht und erinnere nur noch, daß wir in   E u d ä m o n i a   das i lang gebraucht haben, welches wohl nach dem Akzent, nicht aber nach der Quantität richtig ist. Wahrscheinlich brauchen Sie diese paar Epigramme nicht.
    Überhaupt will ich Ihnen nicht leugnen, daß es mir einen Augenblick recht wehe getan hat, unser schönes Karten- und Luftgebäude mit den Augen des Leibes so zerstört, zerrissen, zerstrichen und zerstreut zu sehen. Die Idee war zu schön, zu eigen und einzig, als daß ich mich nicht, besonders da sich bei mir eine Idee, ein Wunsch leicht fixiert, darüber betrüben sollte, für immer darauf renonzieren zu müssen. Doch mag es denn auch an dem Spaße genug sein, den uns der Gedanke indessen gemacht hat; es mag genug sein, daß nun so viel Stoff da ist, der zu einem andern Körper nun wieder verarbeitet werden kann. Die Zusammenstellung in Ihrem Almanach wird mich schon wieder trösten, nur bitte ich, meinen Namen so wenig als möglich unter die Gedichte zu setzen. Die wenigen, welche ich die Zeit hervorgebracht habe, muß ich für den Augenblick liegen lassen; ich bringe sie mit, wenn ich komme, und bis dahin wird der neue Körper des Almanachs schon so lebendig und mächtig sein, ums sie sich zu assimilieren.
    Noch eins, ich wünschte, daß alles wegbliebe, was in unserm Kreise und unsern Verhältnissen unangenehm wirken könnte; in der ersten Form forderte, trug, entschuldigte eins das andere; jetzt wird jedes Gedicht nur aus freiem Vorsatz und Willen eingeschaltet und wirkt auch nur einzeln für sich.
    Vom Roman ist gar nichts zu sagen; er hält einen Mittagsschlaf, und ich hoffe, er soll gegen Abend desto frischer wieder aufstehn.
    In meinen Beobachtungen über Pflanzen und Insekten habe ich fortgefahren und bin ganz glücklich darin gewesen. Ich finde, daß wenn man den Grundsatz der Stetigkeit recht gefaßt hat und sich dessen mit Leichtigkeit zu bedienen weiß, man weder zum Entdecken noch zum Vortrag bei organischen Naturen etwas weiter braucht. Ich werde ihn jetzt auch an elementarischen und geistigen Naturen probieren, und er mag mir eine Zeitlang zum Hebel und zur Handhabe bei meinen schweren Unternehmungen dienen.
    Das französische Ungewitter streift noch immer jenseit des Thüringer Waldes hin; wir wollen das Gebirge, das uns sonst die kalten Winde schickt, künftig als eine Gottheit verehren, wenn es diesmal die Eigenschaften einer Wetterscheidung hat.
    Da in Rudolstadt Vogelschießen ist, so geht unsere Schauspielergesellschaft den 11ten dahin, und die Wünsche des jenaischen Publikums nach einer anmutigen Unterhaltung im September können indessen laut werden.
    Schreiben Sie mir wenn Sie wieder eine Lieferung von Cellini brauchen.
    Ich wünsche zu hören daß Sie mit den Ihrigen sich recht wohl befinden. Was haben Sie für Nachricht aus Schwaben? Die sächsischen Kontingente sollen bei Kronach sein. Ob man sie brauchen wird, das Voigtland und den Saalgrund vor Streifereien zu decken, ob man an der Werra noch einen andern Kordon ziehen wird, ob man Neutralität und Waffenstillstand durch Preußen vermitteln wird, überhaupt, welche Art von Gewitterableiter man brauchen kann und will, muß sich in kurzem aufklären. Leben Sie recht wohl. Ich wünsche, eine ruhige und beruhigte Zeit bald in Ihrer Nähe zuzubringen.

Weimar, den 30. Juli 1796
Goethe

237-239 An Goethe [203]

Jena, den 31. Juli 1796

    Sie können sich von den Xenien nicht ungerner trennen, als ich selbst. Außer der Neuheit und interessanten Eigentümlichkeit der Idee ist der Gedanke, ein gewisses Ganzes in Gemeinschaft mit Ihnen auszuführen, so reizend für mich gewesen. Aber seien Sie versichert, daß ich die Idee nicht meiner Konvenienz aufgeopfert habe. Zu einem Ganzen, so wie es auch von dem liberalsten Leser gefordert werden konnte, fehlte noch unübersehlich viel; eine mühsame Redaktion hat ich mit diesem Mangel gar sehr bekannt gemacht. Selbst wenn wir die zwei letzten Monate ausschließend dazu hätten widmen können, würde weder der satirische noch der andere Teil die nötige Vollständigkeit erlangt haben. Das ganze Werk ein Jahr länger liegen zu lassen, erlaubte weder das Bedürfnis des Almanachs, noch wäre es wegen der vielen Anspielungen auf das Neueste in der Literatur, welches nach einem Jahre sein Interesse verliert, zu wagen gewesen: und was dieser Rücksichten mehr sind, die ich Ihnen mündlich anführen will. Übrigens ist uns diese Idee und Form noch gar nicht verloren, denn es ist noch so erstaunlich viel Stoff zurück, daß dasjenige, was wir aus dem Alten noch etwa dazu nehmen, darin verschwinden wird.
    Ihren Namen nenne ich sparsam. Selbst bei denjenigen politischen, welche niemanden angreifen, und vor welchen man sich gefreut haben würde, ihn zu finden, habe ich ihn weggelassen, weil man diese mit den andern, auf Reichardt gehenden, in Verbindung vermuten könnte. Stolberg kann nicht geschont werden, und das wollen Sie wohl selbst nicht, und Schlosser wird nie genauer bezeichnet, als eine allgemeine Satire auf die Frommen erfordert. Außerdem kommen diese Hiebe auf die Stolbergische Sekte in einer solchen Verbindung vor, daß jeder   m i c h   als den Urheber sogleich erkennen muß; ich bin mit Stolberg in einer gerechten Fehde und habe keine Schonung nötig. Wieland soll mit der zierlichen Jungfrau in Weimar wegkommen, worüber er sich nicht beklagen kann. Übrigens erscheinen diese Odiosa erst in der zweiten Hälfte des Almanachs, so daß Sie bei Ihrem Hiersein noch herauswerfen können, was Ihnen gut dünkt. Um Iffland nicht weh zu tun, will ich in dem Dialog mit Shakespeare lauter Schröderische und Kotzebuische Stücke bezeichnen. Sie sind wohl so gütig und lassen mir vom Spiritus das Personal aus fünf oder sechs Kotzebuischen oder Schröderischen Stücken abschreiben, daß ich darauf anspielen kann.
    Der Cellini pressiert diesmal nicht; denn leider kann ich schon mehrere Posttage nichts mehr an Cotta bringen; die Post nimmt nichts nach Stuttgart und Tübingen an. Auch die letzte Lieferung des Cellini liegt noch da, die für das achte Stück bestimmt ist, und Cotta kann das Manuskript zu dem siebenten, welches bei der Einnahme von Stuttgart noch unterwegs war, nicht empfangen haben.
    Aus Schwaben sind seit acht Tagen keine Nachrichten mehr angelangt; ich weiß nicht wie es um meine Familie steht, noch wo sie sich jetzt aufhält.
    Aus Koburg wird heute geschrieben, daß die Franzosen in wenig Tagen darin einrücken würden, daß aber niemand etwas fürchte. Der allerfurchtsamste Hypochondrist von der Welt, Herr Heß, schreibt dieses an seine Frau, die hier ist; es muß also wohl wahr sein.
    Es ist gut, wenn man den Jenensern Zeit läßt, ihre Furcht vor den Franzosen los zu werden. ehe man ihnen die Komödie zeigt. Es gibt gar gewissenhafte Leute hier, die bei einer so großen öffentlichen Kalamität ein Vergnügen für unschicklich halten.
    Da, wie ich höre, das Mannheimer Theater auf ein Jahr suspendiert ist, so werden Sie Iffland wohl wieder in Weimar haben können. Es wäre zu wünschen, daß sich das weimarische Theater bei dieser Gelegenheit mit einer Schauspielerin rekrutieren könnte. Mlle. Witthöft, oder wie sie jetzt heißt, würde wohl eine sehr gute Eroberung sein.
    Bei mir ist alles wohl auf, und der Kleine gewöhnt sich nach und nach. Meine Frau grüßt Sie bestens.
    Leben Sie recht wohl. Ich freue mich, wenn Sie wieder hier sind, auch von den naturhistorischen Sachen wieder zu hören.
Schiller

239-240 An Goethe [204]

Jena, den 1. August 1796

    Nach langem Hin- und Herüberschwanken kommt jedes Ding doch endlich in seine wagerechte Lage. Die erste Idee der Xenien war eigentlich eine fröhliche Posse, ein Schabernack, auf den Moment berechnet, und war auch so ganz recht. Nachher regte sich ein gewisser Überfluß und der Treib zersprengte das Gefäß. Nun habe ich aber, nach nochmaligem Beschlafen der Sache, die natürlichste Auskunft von der Welt gefunden, Ihre Wünsche und die Konvenienz des Almanachs zugleich zu befriedigen.
    Was eigentlich den Anspruch auf eine gewisse Universalität erregte und mich bei der Redaktion in die große Verlegenheit brachte, waren die philosophischen und rein poetischen, kurz die unschuldigen Xenien; also eben die, welche in der ersten Idee auch nicht gewesen waren. Wenn wir diese in dem vordern und gesetzten Teile des Almanachs unter den andern Gedichten bringen, die lustigen hingegen unter dem Namen   X e n i e n   und als ein eigenes Ganze, wie voriges Jahr die Epigramme, dem ersten Teile anschließen, so ist geholfen. Auf einem Haufen beisammen und mit keinen ernsthaften untermischt, verlieren sie sehr vieles von ihrer Bitterkeit, der allgemein herrschende Humor entschuldigt jedes einzelne, so wie Sie neulich schon bemerkten, und zugleich stellen sie wirklich ein gewisses Ganzes vor. Auch die Hiebe auf Reichardt wollen wir unter dem Haufen zerstreuen und nicht, wie erst geschehen war, an die Spitze stellen. Von der einen Seite war die   E h r e   und von der andern die   B e l e i d i g u n g   zu groß, die wir ihm durch diese Auszeichnung antaten. Und so wären also die Xenien (wenn Sie meinen Gedanken gut heißen, wie ich denke) zu ihrer ersten Natur zurückgekehrt, und wir hätten doch auch zugleich nicht Ursache, die Abweichung von jener zu bereuen, weil sie uns manches Gute und Schöne hat finden lassen.
    Und da nach dem neuen Plane diejenigen politischen Xenien von Ihnen, welche bloß Lehren enthalten und gar niemand treffen, von den satirischen ganz getrennt sind, so habe ich unter jene Ihren Namen gesetzt. Er gehört davor, weil sich diese Konfessionen an die Epigramme vom vorigen Jahr und selbst an den Meister anschließen und, in Form und Inhalt, unverkennbar Ihren Stempel tragen.
    Ich habe heute wieder keine Nachricht aus Schwaben erhalten; es scheint, daß wir ganz abgeschnitten sind. Herr v. Funk, der mir heute schreib, hat aus Artern, seinem gewöhnlichen Quartier, in die Gegend von Langensalza vorrücken müssen. Doch muß man dort nicht viel fürchten, denn er hält diese Stellung für unnütz.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

240-241 An Schiller [205]

    Sie werden, mein Lieber, noch manchmal in diesen Tagen zur Geduld gegen mich aufgefordert werden; denn jetzt, da die Zeit herbeikommt, in welcher ich abreisen sollte, fühle ich nur zu sehr, was ich verliere, indem mir eine so nahe Hoffnung aufgeschoben wird, welches in meinem Alter so gut als vernichtet heißt. Was ich noch von Kultur bedarf, konnte ich nur auf jenem Wege finden; was ich vermag, konnte ich nur auf jene Weise nützen und anwenden, und ich war sicher, in unsern engen Bezirk einen großen Schatz zurückzubringen, bei welchem wir uns der Zeit, die ich entfernt von Ihnen zugebracht hätte, künftig doppelt erfreut haben würden. Des guten Meyers Beobachtungen schmerzen mich; er hat selbst nur den halben Genuß davon, wenn sie für mich nur Worte bleiben sollen; und daß ich jetzt keine Arbeit vor mir sehe, die mich beleben und erheben könnte, macht mich auch verdrießlich. Eine große Reise und viele von allen Seiten zudringende Gegenstände wären mir nötiger als jemals; ich mag es indessen nehmen, wie ich will, so wäre es töricht, gegenwärtig aufzubrechen, und wir müssen uns also drein finden.
    Ich hoffe Sie bald zu besuchen, und es freut mich, daß Sie sich einen Weg ausgedacht haben, wie wir den Spaß mit den Xenien nicht verlieren. Ich glaube, es ist der ganz richtige, und der Kalender behält seine vorige Form und zeichnet sich vor allen andern durch Vorspiel und Nachspiel aus; er wird nicht bunt durch Vermischung heterogener Dichtungsarten und wird doch so mannigfaltig als möglich. Wer weiß, was uns einfällt, um übers Jahr wieder auf eine ähnliche Weise zu interessieren. Von allem übrigen sage ich heute nichts. Leben Sie recht wohl. Grüßen Sie Ihre liebe Frau; ich wünsche Sie mit den Ihrigen wohl und vergnügt anzutreffen.

Weimar, den 2. August 1796
Goethe

241-242 An Goethe [206]

Jena, den 5. August 1796

    Matthisson ist heute hier durchgereist, er kommt unmittelbar aus Italien über Triest und Wien. Seinen Versicherungen nach soll die Reise nach Italien nicht so bedenklich sein. Er glaubt, der Weg von Triest nach Rom über Ancona sollte keine Schwierigkeit haben. Es ist ihm selbst auf der Reise keine Unannehmlichkeit begegnet, und aufgehalten wurde er bloß in Nürnberg, wo es an Pferden fehlte. Wenn es also binnen drei, vier Wochen entschieden würde, ob Sie für Haus und Herd nichts zu fürchten haben, so wäre die Reise doch noch nicht aufzugeben. Auch Hirt hat Italien verlassen; Matthisson hat sich in Wien von demselben getrennt; doch sagt er, Hirt würde auch hieherkommen. Von Meyern wußte er nicht mehr zu erzählen, als wir wissen, und überhaupt hat er nicht viel Neues über die neuesten Ereignisse zu erzählen gehabt.
    Ich sende Ihnen hier eine Anzahl ernsthafter Xenien, die ich, aus den Ihrigen und den Meinigen gemischt, in einen Strauß zusammen gebunden habe, damit doch auch, in Absicht auf die ernsthaften Stücke, die Idee einiger beiderseitigen Vereinigung in etwas erfüllet werde. Haben Sie die Güte, das Manuskript anzusehen und zu bemerken, wo Sie etwas anders wünschen. Fänden Sie keine Erinnerung zu machen, so erbitte ich mir das Manuskript mit retournierendem Botenmädchen zurück, um es gleich an Göpferdt zu geben.
    Von andern Sachen das nächste Mal. Ich bin nicht allein. Möge Sie dieser Brief heiter und beruhigt finden! Bei mir ist alles wohl, und meine Frau läßt Sie herzlich grüßen.
Schiller

242-243 An Schiller [207]

    Die ci-devant Xenien nehmen sich, in ihrer jetzigen Zusammenstellung, sehr gut aus, und wird diese ernste Gesellschaft gewiß auch gut aufgenommen werden. Könnten Sie noch die paar fehlenden Überschriften finden, so würde es sehr schön sein; mir hat der Geist in diesen kurzen Stunden nichts eingeben wollen. Die nächste Woche bin ich bei Ihnen, und ich hoffe, unser Zusammensein soll nicht unfruchtbar bleiben; wir werden manches vollenden und uns zu manchem entschließen können. Von naturhistorischen Dingen habe ich manches Gute zu erzählen.
    Ich habe in diesen Tagen das schönste Phänomen, das ich in der organischen Natur kenne (welches viel gesagt ist), entdeckt und schicke Ihnen geschwind die Beschreibung davon. Ich weiß nicht, ob es bekannt ist; ist es aber, so verdienen die Naturforscher Tadel, daß sie so ein wichtig Phänomen nicht auf allen Straßen predigen, anstatt die Wißbegierigen mit so vielen matten Details zu quälen. Sagen Sie niemand nichts davon. Ich habe zwar die Beobachtung nur an einer Art machen können, wahrscheinlich aber ist es bei allen so, welches sich noch diesen Herbst entscheiden muß. Da die Veränderung so schnell vorgeht, und man nur wegen der Kleine des Raums die Bewegung nicht sehen kann, so ist es wie ein Märchen, wenn man den Geschöpfen zusieht; denn es will was heißen, in zwölf Minuten um einen halben Zoll in der Länge  und proportionierlich in der Breite zu wachsen und also gleichsam im Quadrate zuzunehmen! und die vier Flügel auf einmal! Ich will sehen, ob es nicht möglich ist, Ihnen dieses Phänomen unter die Augen zu bringen. Leben Sie recht wohl! Unter uns gesagt, ich hoffe, Ihnen Friede und Ruhe für Thüringen und Obersachsen mitbringen zu können.

Weimar, den 6. August 1796
Goethe

Nachschrift

    Es versteht sich von selbst, daß man sich dieses Wachstum nicht vorzustellen hat, als wenn die festen Teile der Flügel in so kurzer Zeit um so vieles zunähmen; sondern ich denke mir die Flügel aus der feinsten tela cellulosa schon völlig fertig, die nun durch das Einstreben irgend einer elastischen Flüssigkeit, sie sei nun luft-, dunst- oder feuchtartig, in so großer Schnelle ausgedehnt wird. Ich bin überzeugt, daß man bei Entwickelung der Blumen eben so etwas wird bemerken können.

244 An Goethe [208]

Jena, den 8. August 1796

    Ihre neue Entdeckung ist in der Tat wunderbar; sie scheint bedeutend und auf eine wichtige Spur zu führen. Sie erinnerte mich an die schnelle und gewaltsame Entwicklung, welche in dem Herzen und den Lungen des neugeborenen Tiers vorgeht. Daß der Schmetterling die Lichtseite so sehr vermeidet, ist auch etwas Merkwürdiges und muß abermals auf den Einfluß des Lichts auf organische Naturen aufmerksam machen.
    Ich wünschte sehr, das Phänomen selbst zu sehen. Sie setzen diese Tage wahrscheinlich Ihre Versuche fort und werden mir, wenn Sie hieher kommen, mehreres davon zu erzählen haben.
    Hier wird allgemein erzählt, daß in Weißenfels eine Zusammenkunft zwischen dem Kurfürsten von Sachsen, einigen Herzogen von Sachsen, ja selbst dem König von Preußen im Werke sei. Die Sachsen würden die Stadt Erfurt besetzen und was des Gerüchtes mehr ist. Aus Schwaben ist noch immer keine Nachricht gekommen, und ich kann keine dorthin bringen.
    Schlegels Bruder ist hier; er macht einen recht guten Eindruck und verspricht viel. Humboldt hat eine große Reise nach dem nördlichen Deutschland bis auf die Insel Rügen angetreten, wird die Freunde und Feinde in Eutin und Wandsbeck besuchen und uns allerlei Kurzweiliges zu melden haben. Ich konnte nicht recht begreifen, was ihn auf einmal ankam, sich dorthin in Bewegung zu setzen.
    Das achte Buch ruht wohl noch?
    Haben Sie nicht eine Schrift über die   h e r k u l a n i s c h e n   Entdeckungen? Ich bin gerade jetzt einiger Details darüber bedürftig und bitte Sie darum. Schon in Volkmanns Geschichte findet man, glaube ich, mehreres davon.
    In meinem Hause steht's gut. Wir freuen uns alle (denn Karl gehört auch dazu) auf Ihre Hieherkunft.
    Kommen Sie ja recht bald!
Schiller

245-246 An Schiller [209]

    Mein Paket war gemacht; ich hoffte wieder einige gute Zeit mit Ihnen zuzubringen. Leider halten mich verschiedene Umstände zurück, und ich weiß nicht, wenn ich Sie sehen werde.
    Was Sie eigentlich von den herkulanischen Entdeckungen zu wissen wünschen, möchte ich näher wissen, um Ihnen zweckmäßig aushelfen zu können. Ich schicke Ihnen hierbei den Volkmann; auch ist in der Büttnerischen Bibliothek ein Buch:

Beschreibung von Herakleia, aus dem Italiänischen des Don   M a r c e l l o   V e n u t i.   Frankfurt und Leipzig 1749.

    Schicken Sie mir doch mein Blatt über die Schmetterlinge zurück. Das Phänomen scheint allgemein zu sein; ich habe es indessen bei andern Schmetterlingen und auch bei Schlupfwespen bemerkt. Ich bin mehr als jemals überzeugt, daß man durch den Begriff der   S t e t i g k e i t   den organischen Naturen trefflich beikommen kann. Ich bin jetzt daran, mir einen Plan zur Beobachtung aufzusetzen, wodurch ich im Stande sein werde, jede einzelne Bemerkung an ihre Stelle zu setzen, es mag dazwischen fehlen was will; habe ich das einmal gezwungen, so ist alles, was jetzt verwirrt, erfreulich und willkommen. Denn wenn ich meine vielen, ungeschickten Kollektaneen ansehe, so möchte sich wohl schwerlich Zeit und Stimmung finden, sie zu sondern und zu nutzen.
    Der Roman gibt auch wieder Lebenszeichen von sich. Ich habe zu Ihren Ideen Körper nach meiner Art gefunden; ob Sie jene geistigen Wesen in ihrer irdischen Gestalt wieder kennen werden, weiß ich nicht. Fast möchte ich das Werk zum Drucke schicken, ohne es Ihnen weiter zu zeigen. Es liegt in der Verschiedenheit unserer Naturen, daß es Ihre Forderungen niemals ganz befriedigen kann; und selbst das gibt, wenn Sie dereinst sich über das Ganze erklären, gewiß wieder zu mancher schönen Bemerkung Anlaß.
    Lassen Sie mich von Zeit zu Zeit etwas vom Almanach hören. Hier ein kleiner Beitrag; ich habe nichts dagegen, wenn Sie ihn brauchen können, daß mein Name darunter stehe. Eigentlich hat eine arrogante Äußerung des Herrn Richter, in einem Briefe an Knebel, mich in diese Disposition gesetzt.
    Lassen Sie mich ja wissen, was Humboldt schreibt.
    In einigen Tagen wird Herr Legationsrat   M a t t e i   sich bei Ihnen melden; nehmen Sie ihn freundlich auf; er war Hofmeister bei dem Grafen Forstenburg, natürlichem Sohn des Herzogs von Braunschweig, und zugleich an dessen Mutter, Frau von Branconi, attachiert und hat mit beiden ein ziemliches Stück Welt gesehen. Leben Sie recht wohl.

Weimar, den 10. August 1796
Goethe

246 An Goethe [210]

[Jena, den 10. August 1796]

    Eben erhalte ich Ihren Brief und will nur das Manuskript geschwind fortschicken, das Sie begehren. Für den Volkmann und die übrigen Notizen danke ich Ihnen aufs beste. Der Chinese soll warm in die Druckerei kommen; das ist die wahre Abfertigung für dieses Volk.
    Daß Sie nicht sogleich kommen können, ist mir recht verdrießlich. Ich hätte jetzt so gern mein Lämpchen bei Ihnen angezündet. In Absicht auf den Roman tun Sie sehr wohl, fremden Vorstellungen, die sich Ihrer Natur nicht leicht assimilieren lassen, keinen Raum zu geben. Hier ist alles aus einem Stück; und selbst wenn eine kleine Lücke wäre, was noch immer nicht erwiesen ist, so ist es besser, sie bleibt auf   I h r e   A r t,   als daß sie durch eine fremde Art ausgefüllt wird. Doch davon nächstens mehr.
    Auf den Freitag sende ich Ihnen auch Almanachs-Bogen.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

247 An Goethe [211]

[Jena, den 12. August 1796]

    Ich bin heute in ein Gedicht hinein geraten, worüber ich den Botentag rein vergessen habe. Eben mahnt mich meine Frau, die Ihnen Zwieback schickt, und ich habe nur noch zu ein paar Worten Zeit.
    Hier Proben von bessern und schlechtern Abdrücken der ersten Almanachs-Bogen. Der vierte ist jetzt unter der Presse, und es läßt sich an, als ob wir in der ersten Woche Septembers damit zu stande sein könnten. Er wird erstaunlich reich werden und von dem vorjährigen völlig verschieden. Wenn ich Ihre Idylle gegen die Epigramme im vorigen Jahr abrechne, so wird der diesjährige wohl den Preis davontragen. Mit meinen Arbeiten darin bin ich viel besser zufrieden, als ich es mit denen im vorigen Jahr bin. Ich empfinde es ganz erstaunlich, was Ihr näheres Einwirken auf mich in mir verändert hat, und obgleich an der   A r t   und an dem   V e r m ö g e n   selbst nichts anders gemacht werden kann, so ist doch eine große Läuterung mit mir vorgegangen. Einige Sachen, die ich jetzt unter Händen habe, dringen mir diese Bemerkung auf.
    Herrn Mattei habe ich noch nicht gesehen; er soll mir willkommen sein, wenn er erscheint. Mein Schwager, der Legationsrat von Wolzogen, mit seiner Frau ist gegenwärtig hier; er hat sich mehrere Jahre mit der Architektur abgegeben, und da es ihm gar nicht an Kopf fehlt, er auch gereist ist, so werden Sie ihn nicht leer finden.
    Leben Sie recht wohl, und bleiben Sie nicht zu lange mehr aus. Ich wünschte jetzt gar sehr, das achte Buch wieder zu haben; kann ich es nicht bald erhalten?
Schiller

247-249 An Schiller [212]

    Ihre freundliche Zuschrift, begleitet von den ersten Bogen des Almanachs und den guten Zwiebäcken, waren mir sehr erfreulich; sie trafen mich mitten im Fleiße von allerlei Art. Der Almanach macht wirklich ein stattliches Gesicht, und das Ganze kann nicht anders als reich und mannigfaltig werden. Könnten Sie nicht, da Sie doch einige Blätter umdrucken lassen, auch gleich die   E i s b a h n   mitnehmen? Wie sie jetzt steht, verspricht sie ein Ganzes zu sein, das sie nicht leistet, und die zwei einzelnen Distichen am Ende machen den Begriff davon noch schwankender. Ich schicke Ihnen hierbei, wie ich wünschte, daß sie abgedruckt würden. Die Distichen würden durch einen kleinen Strich getrennt, und da ich noch einige hinzugetan habe, so machten sie eine Art von Folge und leiteten die künftigen ein, die auf eben diese Weise stehen werden. Sophie Mereau hat sich recht gut gehalten. Der Imperativ nimmt sich recht lustig aus. Man sieht recht bei diesem Falle, wie die Poesie einen falschen Gedanken wahr machen kann, weil der Appell ans Gefühl sie gut kleidet. Mir ist aufgefallen wie das Gedicht von Conz doch eigentlich nur gute Prosa ist, und wie wunderlich die Kobolde sich in der übrigen hellen Gesellschaft ausnehmen. Es ist aber recht gut, daß Sie von allen diesen beliebten Arten etwas aufnehmen. Haben Sie nicht auch noch eine leidliche Romanze? Bei der Redaktion der Xenien hoffe ich gegenwärtig zu sein und meine neusten noch unterzubringen. Bis künftigen Mittwoch hoffe ich manches überstanden zu haben; bis dahin werde ich mir auch die Frage, ob ich Ihnen das achte Buch nochmals schicke? beantworten können. Ich müßte mich sehr irren, oder ich muß künftig diesen letzten Band zu zwei Bänden erweitern, um etwas mehr Proportion in die Ausführung der verschiedenen Gegenstände zu bringen.
    Was sagen Sie zu beiliegender Wundergeschichte? Sie ist aus der Florentiner Zeitung genommen; lassen Sie es doch abschreiben und teilen es einigen Freunden mit. Merkwürdig ist das Mandat, das man zu gleicher Zeit, zur Sicherstellung der französischen Kommissarien, die man erwartet, vom Quirinal publiziert hat; es werden darin die unmittelbarsten, strengsten Strafen demjenigen, der sie nur im mindesten beleidigte, oder sich bei allem was geschehen könnte (wahrscheinlich ist der Transport der Kunstsachen gemeint) nur im mindesten regte und rührte, ohne prozessualische Form, angedroht.
    Meyer hat geschrieben und ist recht gutes Muts; er hat schon angefangen, die Madonna della Seggiola zu kopieren, und wird sich nachher wahrscheinlich an einen Teil eines trefflichen Bildes von Michelange machen; er hofft immer noch auf mein nächstes Kommen.
    Die nächste Woche werde ich auch mehr sagen können, wie unsere Politika stehen. Das sächsische Kontingent bleibt im Voigtlande; die übrigen Truppen sind denn doch so verteilt, daß der Kordon eine Gestalt hat; demohngeachtet wird wohl das Beste, was zu hoffen ist, nicht von Macht und Gewalt, sondern von höhern Verhältnissen und höhern Konstellationen abhängen.
    Grüßen Sie alles, was Sie umgibt; ich freue mich, Sie bald wieder zu sehen, wie ich denn von unserer Wechselwirkung noch Folgen hoffe, die wir jetzt gar noch nicht ahnen können. Leben Sie recht wohl.

Weimar, den 13. August 1796
Goethe

249-250 An Goethe [213]

Jena, den 15. August 1796

    Endlich habe ich Briefe aus Schwaben, die mich zwar nicht viel unterrichten, aber im Ganzen doch beruhigen. Cottas Briefe lege ich bei. Meine Familie hat wenig von den Kriegsunruhen, desto mehr aber von den Krankheitsumständen meines Vaters gelitten, der einem langsamen Tod auf einem sehr schmerzhaften Krankenlager entgegen schmachtet. Meine jüngste Schwester, von der ich Ihnen im vorigen März erzählt, ist schon im April gestorben, und meine zweite dem Tode mit Mühe entgangen.
    Weil ich vorderhand nur über Frankfurt Briefe nach Schwaben bringen kann und mir an der gegenwärtigen Bestellung an Cotta alles liegt, so ersuche ich Sie, Eingeschlossenes an Ihre Frau Mutter nach Frankfurt einzuschließen und die schnellste Absendung nach Stuttgart zu empfehlen.
    Zugleich haben Sie die Güte, mich wissen zu lassen, an wen in Weimar ich mich der Decke zum Almanach wegen, von welcher Cotta schreibt, zu wenden habe?
    Morgen mit dem Botenmädchen ein mehreres, heute habe ich alle Hände voll zu tun.
    Leben Sie aufs beste wohl.
    Eben erfahre ich, daß man auf hiesiger Post Briefe nach Stuttgart über Frankfurt annimmt. Ich brauche Sie also nicht zu belästigen.
Schiller

    Die Eisbahn kann noch recht gut umgedruckt werden, da ohnehin auf demselben Bogen zwei Blätter umgedruckt werden.

250-251 An Schiller [214]

    Künftigen Donnerstag abend hoffe ich bei Ihnen zu sein; indessen schicke ich hier ein Paket allerlei voraus.
  1. Die Abdrücke zu der Hirtischen Abhandlung; die durch den Grabstichel ausgearbeiteten sind zu nochmaliger Korrektur in meiner Hand.
  2. Die Cottaischen Briefe. Eine Kupferplatte zum Deckel des Musenalmanachs kann in vierzehn Tagen fertig sein; nur die Zeichnung wird einige Schwierigkeit machen. Meyer hat einige, die trefflich sind, ich weiß nicht, zu was für Kalendern, erfunden und stechen lassen; ich bringe sie mit. Am Ende komponieren wir selbst eine schickliche Bordüre, lassen das Mittelfeld frei, setzen vorne ein ernsthaftes und hinten ein lustiges Xenion drauf, so ist die Sache abgetan und doch wieder was neues.
  3. La Mère coupable.
  4. Ein   P u b l i k u m,   welches die Situation von Rom, verbunden mit jenen Wundergeschichten, gar wohl erkennen läßt.
  5. Ein nagelneues Märchen, dessen Verfasser Sie wohl erkennen werden. Sollte man nicht aus diesem Produkt, wenn man es übersetzte und ihm etwas gäbe und nähme, einen interessanten Beitrag zu den Horen machen können? Wenigstens ist die demokratische Tendenz eines so rein aristokratischen Quellwassers einzig in ihrer Art, und man könnte, wie ich mir's imaginiere, aus der Produktion, mit wenigem Aufwand, noch manchen Vorteil ziehen.
    Das achte Buch des Romans soll noch von hier abgehen, damit, was mir gelungen sein möchte, Sie im Druck überrasche, und was daran ermangeln mag, uns Unterhaltung für künftige Stunden gewähre; denn was den Augenblick betrifft, so bin ich, wie von einer großen Debauche, recht ermüdet daran und wünsche Sinn und Gedanken wo anders hinzulenken.
    Es tut mir sehr leid, daß Ihre Familiennachrichten so traurig sind. Da es im allgemeinen so übel geht, sollte man billig im einzelnen erfreut werden. Es soll mir sehr angenehm sein, Ihre Frau Schwägerin wiederzusehen und Ihren Herrn Schwager kennen zu lernen. Leben Sie recht wohl.

Weimar, am 16. August 1796
Goethe

251-252 An Schiller [215]

    Ob wir gleich mehr als jemals vom Augenblick abhängen, so hoffe ich doch, es soll mich nichts hindern, morgen abend bei Ihnen zu sein. Die tabulas votivas bringe ich morgen wieder mit. Ihre Distichen sind außerordentlich schön, und sie werden gewiß einen trefflichen Effekt machen. Wenn es möglich ist, daß die Deutschen begreifen, daß man ein guter tüchtiger Kerl sein kann, ohne gerade ein Philister und ein Matz zu sein, so müssen Ihre schönen Sprüche das gute Werk vollbringen, indem die großen Verhältnisse der menschlichen Natur mit so viel Adel, Freiheit und Kühnheit dargestellt sind.
    Weit entfernt, daß ich die Aufnahme gewisser Arbeiten in den Almanach tadle; denn man sucht dort gefällige Mannigfaltigkeit, Abwechslung des Tons und der Vorstellungsart; man will Masse und Menge haben, der gute Geschmack freut sich, zu unterscheiden, und der schlechte hat Gelegenheit, sich zu bestärken, indem man ihn zum besten hat.
    Von so vielem andern mündlich. Ich hoffe, wir wollen diesmal wieder zusammen eine gute Strecke vorwärts kommen. Da ich den Roman los bin, so habe ich schon wieder zu tausend andern Dingen Lust. Leben Sie recht wohl.

Weimar, den 17. August 1796
Goethe

252-253 An Goethe [216]

Jena, den 5. Oktober 1796

    Möchten Sie glücklich angelangt sein und alles bei sich wohl gefunden haben!
    Endlich hab' ich ein anderthalb Tausend Titelkupfer erhalten, wovon ich hier vor der Hand zweihundert sende. So viel Exemplare, denk' ich, soll der Buchbinder auf den Freitag nachmittag fertig kriegen, welche mir dann durch einen Expressen zu senden bitte. Die Musiknoten sind nicht gekommen; diese können also nicht mehr mit versendet werden.
    Ich sende hier auch hundertundfünfzig Titelblätter. Weil eine der drei Sendungen an den Buchbinder unmittelbar aus Ihrem Hause erfolgt ist, so vermute ich, daß auch schon eine Quantität Titelbogen mit nach Weimar abgegangen sein wird. Sollte dies nicht sein, so bitte ich, mich davon zu benachrichtigen.
    Humboldt schreibt mir, daß man in Berlin über Ihre Idylle, davon aus Karlsbad und Teplitz Exemplare dahin gekommen, ganz entzückt sei.
    Leben Sie recht wohl. Hier ist alles wohl und grüßt Sie aufs schönste.
    Sollte der Buchbinder Freitag gegen drei oder vier weniger als hundert Exemplare fertig kriegen, so ist es unnötig, einen Expressen zu senden, und das Botenmädchen kann alsdann Sonnabends alles, was fertig ist, mitbringen.
Schiller

253-254 An Schiller [217]

    Aus dem ruhigen Zustande, den ich in Ihrer Nähe zugebracht habe, bin ich gleich auf ganz andere Schauplätze gerufen worden; gestern und vorgestern war ich auf Ettersburg und in Schwansee, und heute früh hat uns ein Brand in der Jakobsvorstadt in Bewegung gesetzt. Von Bertuchs Hause sieht man gerade hinüber in die Lücke.
    Indessen haben unsere mordbrennerischen Füchse auch schon angefangen, ihre Wirkung zu tun. Des Verwunderns und Ratens ist kein Ende. Ich bitte Sie um alles, ja kein Zweifelhaftes zu gestehen, denn der Sinn der Rätsel wird, wie ich sehe, tausendfach.
    An dem Buchbinder will ich treiben was ich kann. Dienstag erhalten Sie eine Ladung; schicken Sie aber nur wieder Titelblätter und Kupfer; ich schreibe baldmöglichst, wie wir überhaupt stehen.
    Wenn es Ihnen recht ist, so will ich das eine inkomplette Exemplar dazu benutzen, um die Druckfehler zu notieren; machen Sie sich auf die zweite Ausgabe bereit und veranstalten Sie solche in klein Oktav, wie Sie neulich sagten.
    Hier folgt ein reiner Abdruck der Hirtischen Platte; sie soll Montags nach Frankfurt; wenn ich die Fortsetzung des Manuskripts erhalte, korrigiere ich auch die andere. Schreiben Sie mir nur beizeiten, worin ich Ihnen beistehen kann, denn ich sehe viele Zerstreuung voraus. Sagen Sie doch Ihrem Herrn Schwager, nebst vielen Empfehlungen, er möge den   S c h e f f a u e r schen Antrag nicht geradezu ablehnen; ich habe einen Gedanken darüber, den ich Ihnen nächstens mitteilen will. Leben Sie recht wohl, und grüßen Sie die Frauenzimmer schönstens.

Weimar, den 8. Oktober 1796
Goethe

254-255 An Goethe [218]

Jena, den 9. Oktober 1796

    Ich habe durch meinen Schwager diesen Morgen hundert Terpsichore und hundert Titelblätter gesendet; aber nach meiner Rechnung ist beides schon längst nach Weimar geliefert gewesen, und diese heut überschickten Abdrücke von Titel und Kupfer mußte ich von den rohen Exemplaren des Almanachs nehmen. Beide sind also verloren gegangen, wenn sie nicht entweder bei Ihnen oder bei dem Buchbinder liegen. In meinem Brief vom 5. müßte es, glaube ich, stehen, wieviel Terpsichores ich Mittwoch abends geschickt habe.
    Mit den Titelblättern ist es ebenso. Ich muß hundert von diesen neu drucken lassen; es ist schade um das Geld. So sehe ich mich frühe für das Böse gestraft, das wir den schlechten Autoren erzeigt haben. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, mit wie vielen kleine fatalen Details mich die Besorgung des Almanachs in diesen Tagen plagt, und die zu späte Sendung der Melodien macht mir schon allein dreiundsechzig neue Pakete notwendig. Es ist weder die Zeit noch die Gelegenheit, die Melodien noch zu binden; sie mögen so mitlaufen; ohnehin dankt niemand den Aufwand und die Mühe.
    Auf neue   D e c k e n   wartet der hiesige Buchbinder mit Schmerzen. Sollte mein Schwager mir heute nichts mitbringen, so bitte ich Sie inständig, mir morgen mit dem frühesten zu schicken, was bis dahin fertig werden kann. Ich begreife nicht, warum uns der Abdrucker sechs Tage gar nichts mehr geschickt hat.
    Hier wird noch immer nach Almanachs gefragt, aber nach lauter guten Exemplaren, womit mir gar kein Dienst geschieht. Ich fürchte, wir setzen die schlechteren nicht ab, und da der guten nur fünfhundert sind, so wird es zugleich an Almanachen für die Käufer und an Käufern für die Almanache fehlen.
    Wie sind Sie mit der Musik zufrieden? Was ich, in einem sehr unvollkommenen Vortrag, davon gehört, hat mir sehr gefallen.   M i g n o n   ist rührend und lieblich; auch der   B e s u c h   von mir hat einen sehr angenehmen Ausdruck. Wollen Sie so gütig sein, von beiliegenden sieben Exemplaren der Melodien sechs an Herder und eins an Geheimrat Voigt abgeben zu lassen?
    Einen Brief von Körner lege ich bei, weil er einiges über den Almanach enthält. Wir sollten ordentlich Akta über alle schriftliche und gedruckte Urteile vom Almanach halten, um einmal, wenn es der Mühe wert ist, daraus referieren zu können.
    Ich habe nicht aufgeschrieben, wie viel Exemplare des Almanachs der Buchbinder in Weimar hat. Nach dem Bestand der Auflage, die bei mir liegt und bei dem hiesigen Buchbinder noch restiert, müßten noch etwa hundertundachtzig in Weimar sein. Wollen Sie durch Geist nachsehen lassen?
    Alles befindet sich hier leidlich wohl und grüßt Sie aufs beste.
Schiller

255-256 An Schiller [219]

    Ihr Herr Schwager bringt mir, zu meiner großen Zufriedenheit, die Titelblätter und Kupfer wie auch die Melodien; wäre alles nur vierzehn Tage früher beisammen gewesen, so hätten wir uns der ganzen Expedition erfreuen können.
    Die Hoffmannische Buchhandlung prätendiert, mit Cotta in Verhältnis zu stehen, und verlangt fünfzehn bis zwanzig Exemplare auf Rechnung. Soll ich sie ihr geben? oder bar Geld, versteht sich mit einem Viertel Rabatt, verlangen?
    Leben Sie recht wohl; nächstens mehr.

Weimar, den 9. Oktober 1796
Goethe

256-257 An Goethe [220]

Jena, den 10. Oktober 1796

    Hoffmann in Weimar steht bereits auf dem Cottaischen Speditionszettel; Sie können ihm also, auch dem Industrie-Kontor, wenn es welche haben will, Exemplare des Almanachs auf Rechnung abliefern lassen. Sie sind so gütig und bemerken auf beiliegenden Preiszetteln, wie viel Exemplarien an beide Handlungen abzugeben sind, und lassen einen Empfangschein für mich geben. Sollten Velin- oder holländische Exemplarien gewünscht werden, so müßte ich das Mittwoch früh spätestens erfahren.
    Zugleich sende ich einen Vorrat von Melodien; was zu viel ist, werden Sie so gütig sein, mir auf den Sonnabend zurückzusenden.
    Von hiesigen Buchhandlungen sind nunmehr zweiundsiebenzig Exemplare verlangt und abgegeben worden. Gehen in Weimar achtundzwanzig ab, so sind wir in diesen zwei Orten, die etwa zwölftausend Menschen enthalten, hundert Exemplare los geworden. Es wird interessant sein, den aktuellen Zustand der poetischen Lektüre in deutschen Städten aus diesen Beispielen zu ersehen. Ich bin überzeugt, daß in Thüringen und im Brandenburgischen, vielleicht noch in Hamburg und umliegenden Orten, der dritte Teil unserer Leser und Käufer sich finden wird.
    Ich bitte sehr um den Rest der   D e c k e n.   Hirts Aufsatz sende ich morgen. Den Abdruck des Kupfers will ich an Cotta vor der Kupferplatte voran laufen lassen.
    Heute geht das zweite Dritteil der ganzen Auflage des Almanachs nach Leipzig ab.
    Leben Sie recht wohl und schreiben mir bald wieder, mich zu erquicken und zu stärken.
Schiller

257-258 An Schiller [221]

    Leider häufen und verdoppeln sich die Unannehmlichkeiten eines Geschäfts, wie das ist, das Sie übernommen haben, und ich fürchte, Sie werden noch manches Unheil des Selbstverlags dabei erleben.
    Wir erinnern uns keiner Titelkupfer und Titelblätter als derer, die wir abgeliefert haben. Geist hat alle Exemplare, die nach Jena in unser Quartier kamen, gezählt und gepackt und keine Titelblätter dabei gefunden.
    Ihr Brief vom 5. Oktober spricht von zweihundert Titelkupfern, die Sie auch geschickt haben. Durch Ihren Herrn Schwager erhielt ich noch hundert, und die wären also komplett; nun brauche ich noch fünfzig Titelblätter und zweiundsiebenzig Exemplare, und so hat der Buchbinder alles, was zu dreihunderten gehört; komplett abgeliefert sind:


50
Hierbei kommen 124

────

174

    Übergeben Sie ja, wenn es zur zweiten Auflage kommen sollte, das Ganze irgend jemand zur Besorgung. Man verdirbt sich durch dergleichen mechanische Bemühungen, auf die man nicht eingerichtet ist, und die man nicht mit der gehörigen Präzision treibt, den ganzen Spaß und hat erst am Ende, wo alles zusammentreffen soll, den Verdruß, weil es an allen Enden fehlt.
    Über die Musik kann ich noch nichts sagen. Ich habe sie gehört, aber das ist bei den Zelterischen Kompositionen noch nicht genug; er hat viel Eigenheit, die man ihm erst abgewinnen muß.
    Leben Sie recht wohl. Ich schicke den Körnerschen Brief hier zurück. Da wir das Publikum kennen, so wird uns schwerlich auch bei dieser Gelegenheit eine neue Erscheinung entgegen kommen. Wenn ich Starken und den Buchbinder bezahlt habe, so schicke ich die Rechnung.

Weimar, den 10. Oktober 1796
Goethe

    Hier noch zu besserer Übersicht ein Auszug, wie wir mit dem Buchbinder stehn.
    Er erhielt Exemplare:

erste Sendung 50
zweite Sendung 100
dritte Sendung 50
vierte Sendung 28

────

228

════
Titelkupfer 200
zweite Sendung 100

────

300

════
Titelblätter 150
zweite Sendung 100

────

250

════
Umschläge auf einmal 300

258-259 An Goethe [222]

Jena, den 11. OKtober 1796

    Aus der Berechnung des nach Weimar Gesandten ersehe ich nun, daß mir gerade hundert Druckpapier-Exemplare fehlen, die mir wahrscheinlich Göpferdt nicht gesandt hat, denn aus meinem Hause können sie nicht weggekommen sein, da von da aus nie etwas als nach Weimar exportiert wurde. So fehlen mir gleichfalls Titelblätter und Titelkupfer, welche freilich leichter zu ersetzen sind. Es ist fatal, daß Göpferdt just auf der Messe ist, wo er noch zehn Tage bleibt.
    Ich habe die Paketierung und Emballage der gestrigen Leipziger Lieferung an den hiesigen Buchhändler Gabler übergeben; aber das nahm mir nur einen Teil der Arbeit: denn die Bestimmung dessen, was in jedes Paket kommen sollte, bei der vierfachen Verschiedenheit der Exemplare, das überschreiben der Speditionszettel usw. blieb mir noch immer, und so noch eine Menge Kleinigkeiten.
    Das letzte Paket geht auf den Sonnabend, und dann ist die Last mir vom Halse.
    Unterdessen habe ich nichts mehr vom Almanach gehört, als daß unsere gute Freundin S** hier die auf Manso gerichteten Xenien abgeschrieben und an Gottern geschickt hat, welcher sehr davon soll erschreckt worden sein.
    Eben diese erzählt auch schon vom siebenten und Anfang des achten Buchs Ihres Wilhelm Meisters, den sie gedruckt will gelesen haben. Es ist doch sonderbar, daß die S** früher die gedruckten Bogen Ihres Romans erhält, als Sie selbst.
    Leben Sie recht wohl.
    Die zweiundsiebenzig Exemplare des Almanachs, welche noch zu dreihundert fehlen, kann ich nicht mehr senden, weil ich zu denjenigen, die der hiesige Buchbinder schon angefangen zu heften, die in Weimar überflüssigen zweiundsiebenzig Titelkupfer haben muß. Haben Sie also die Güte, mir diese zweiundsiebenzig Kupfer nebst den Decken, die dazu gehören, sowie auch die noch übrigen zweiundzwanzig Titelblätter senden zu lassen. Der weimarische Buchbinder hat noch keine Arbeit dabei gehabt; ich muß also den hiesigen vorgehen lassen, der alles schon gefalzt und geheftet, und dem nur diese Kupfer und Titel noch fehlen.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

260 An Schiller [223]

    Nun hoffe ich bald zu hören, daß Sie von der Sorge und Qual, die Ihnen der Almanach gemacht hat, befreit sind; wenn man nur auch der lieben Ruhe zu genießen recht fähig wäre; denn man lädt sich, wie die entbundenen Weiber, doch bald wieder eine neue Last auf.
    Die zweitausend Exemplare der Decken sind nun abgeliefert.
    Hierzu folgen:

Titelblätter 26
Decken 71
Titelkupfer 81

    Das ist nun alles teils zu viel, teils zu wenig; die hundert Exemplare, die Ihnen fehlen, müssen sich aber auf alle Fälle finden.
    Morgen früh liefert mir der Buchbinder seine letzten Exemplare; ich will gleich zwanzig davon an Hoffmanns geben und die übrigen liegen lassen, bis das Industrie-Kontor von Leipzig zurückkommt. Die Berechnung von den Exemplaren, die durch meine Hand gegangen sind, schicke ich Sonnabends; es wird alles so leidlich zutreffen.
    Alsdann soll auch die Geldrechnung folgen. Eine Abschrift von Starkes Rechnung, die ich bezahlt habe, liegt hier bei; Sie erhalten alsdann alles auf einem Blatte.
    Heute nichts weiter. Heil unserer Freundin S., daß sie unsere Gedichte abschriftlich verbreiten und sich um unsere Aushängebogen mehr als wir selbst bekümmern will! Solchen Glauben habe ich in Israel selten funden.
    Die guten Exemplare für Hoffmann schicken Sie mir ja wohl.
    Siebenundzwanzig Melodien habe ich im letzten Paket erhalten. Leben Sie recht wohl; nächstens mehr.

Weimar, den 12. Oktober 1796
Goethe

261-262 An Goethe [224]

Jena, 12. Oktober 1796

    Nach und nach kommen wir zur Ordnung und Ruhe. Das vermißte Hundert Exemplarien hat sich gefunden und Titelkupfer sind bestellt, so viel noch zu dem zwanzigsten Hundert fehlen. Titelblätter hat Göpferdt zum Glück über die Zahl drucken lassen, so daß sich noch ein Vorrat beim Buchbinder fand. Gebunden ist jetzt alles, was gebunden werden sollte; zwei große Lieferungen, vier Zentner schwer, sind nach Leipzig; wegen des an Cotta ins Reich bestimmten Quantums habe ich schon mit dem Fuhrmann kontrahiert, der es in etlichen Tagen nach Frankfurt mitnimmt. Mit dem Sonnabend fällt mir die ganze Last vom Halse.
    Die Nachfrage nach Exemplaren ist hier noch immer stark; aber alles will schreibpapierne, die uns gerade fehlen, und postpapierne habe ich keine mehr vorrätig. Hier erhalten Sie das letzte für Hoffmann. Können Sie das überkomplette in gelb Papier gebundene, das Sie von mir in Händen haben, schonen, so ist mir's lieb, weil wir jetzt alle gute Exemplare zu Rat halten müssen. Ich habe einzelne Bogen defekter Exemplare auf Velin- und Postpapier, woraus wir zu dem Behuf der Korrektur noch ein vollständig Exemplar zusammen bringen können.
    Hier allein sind sieben Velin- und acht holländische Exemplarien aufgebraucht worden, und beinahe noch einmal so viel wäre gegangen, wenn ich noch vorrätig gehabt hätte. Auch habe ich mir's für alle künftige Fälle zur Regel gemacht, alles was ich drucken lasse, gut und kostbar drucken zu lassen: so geht es am gewissesten ab, denn auch der elendeste Lump will nicht mehr mit Lumpen vorlieb nehmen.
    Die erste Lieferung, so viel nämlich davon in ein Heft kommt, habe nebst dem Abdruck des Kupfers heute abgesendet. Der Rest ist noch nicht ganz abgeschrieben.
    Unterdessen erinnern Sie sich doch auch wieder des Cellini. Wie froh wäre ich, wenn wir noch etwas Neues und Lustiges zu lesen zum Schluß des zweiten Horen-Jahrgangs auftreiben könnten!
    Wenn Sie doch gelegentlich Herdern bedeuten wollten, daß er noch keine Horenstücke haben kann. Er hat davon gehört, daß einzelne Stücke (die mir Cotta durch Briefpost geschickt) in Weimar spuken, und glaubt, man hätte ihn vergessen.
    Für den Hecht danken wir schönstens und wünschten sehr, daß Sie ihn mit uns verzehren möchten.
    Alles grüßt.
Schiller

262-263 An Goethe [225]

Jena, den 14. Oktober 1796

    Endlich habe ich alle Speditionsarbeit mir vom Halse geschafft, um eine neue, wiewohl lustigere zu beginnen. Ohne kleine Konfusionen ist es freilich nicht abgegangen, doch sind sie zum Glück von keiner Bedeutung, und das Ganze ist doch glücklich beendigt. Möchte nun nicht ganz weggeworfene Arbeit sein, was wir körperlich und geistig daran gewendet haben. Doch so was belohnt sich zum Glück, wie das Kindermachen, von selbst.
    Gestern war Blumenbach hier und auch bei mir. Nach dem, was neulich von ihm gesprochen worden, wunderte ich mich nicht wenig, die Äußerung von ihm zu hören: „er preise sich glücklich, daß er die Wissenschaft, an der er mit ganzer Seele hänge, als Beruf betreiben dürfe.“ Auch Lavater ist hier, ich hab' ihn aber nicht gesehen. An Paulus, den er kürzlich etwas gröblich behandelte, schrieb er ein Billet und bittet um eine Zusammenkunft. Machen Sie sich in Weimar auf ihn gefaßt. Die Mereau ist wieder hier. Von ihr hab' ich Ihnen was zu erzählen.
    Leben Sie recht wohl. Lassen Sie mich bald wieder etwas von Ihnen hören. Alles grüßt.
Schiller

263-264 An Schiller [226]

    Sie erhalten hierbei auch die Rechnung, mit der Abschrift der einzelnen Quittungen, und so wäre auch das berichtigt. Die 95 Rtlr. 9 Gr. Überschuß wünschte ich für Rechnung Herrn Cottas inne zu behalten, indem er uns doch zu unserer italienischen Expedition Zwischenzahlungen auf das Honorar der Horen versprochen hat. Wegen der hier gebundenen Exemplarien liegt eine Berechnung bei. Können Sie mir beiliegenden, nur halbgedruckten Bogen gegen einen vollkommenen auswechseln, so wird noch eins gebunden, und wir sind vollkommen richtig. Ich schicke Ihnen das erste   h o l l ä n d i s c h e   zurück und eins von meinen   V e l i n,   dagegen ich mir zwei geringe genommen habe. Ebenso folgt auch eine Lage, die zu viel war.
    Auch hat man mir noch Abdrücke der Decke geschickt, die sich, ich weiß nicht wo, versteckt hatten. Ich hoffe, Sie sollen nun genug haben; auf alle Fälle läßt sich dieser Mangel am leichtesten ersetzen; ich werde die Platte zu mir nehmen.
    Weiter wüßte ich nun nichts, und wünsche diesem Werke gut zu fahren. Im ganzen finde ich nur einerlei Wirkung: jedermann findet sich vom Phänomen frappiert, und jedermann nimmt sich zusammen, um mit anscheinender Liberalität  und mehr oder weniger erzwungenem Behagen darüber zu sprechen, und geben sie einmal acht, ob das nicht meist der Fall sein wird.
    Für die sonderbare Nachricht, daß der   P r o p h e t   in Jena sei, danke ich aufs beste. Ich werde mich seiner zu enthalten suchen und bin sehr neugierig auf das, was Sie von ihm sagen werden. Blumenbach war auch bei mir; er hatte einen sehr interessanten Mumienkopf bei sich.
    Wenn die Konferenz zwischen dem Propheten und Paulus zustande kommt, so zieht der letzte wahrscheinlich den kürzern und muß sich noch bedanken, daß er beleidigt worden ist. Es kostet dem Propheten nichts, sich  bis zur niederträchtigsten Schmeichelei erst zu assimilieren, um seine herrschsüchtigen Klauen nachher desto sichrer einschlagen zu können.
    Sagen Sie mir doch etwas von der Geschichte der kleinen Schönheit.
    Ein Heft Cellini, ohngefähr zwölf Bogen Manuskript, kommt bald; alsdann gibt es noch zwei Abteilungen, die ich gleich hintereinander vornehmen will, da ich mich völlig unfähig fühle, etwas anders zu tun. Die zwei armen letzten Gesänge werden noch eine Zeit im Limbo verweilen müssen. Es ist wirklich eine Art der fürchterlichsten Prosa hier in Weimar, wovon man außerdem nicht wohl einen Begriff hätte.
    Ich lege auch das letzte Buch meines Romans bei, da mir die letzten Bogen des siebenten Buchs fehlen. Wahrscheinlich hat Unger sie, nach seiner löblichen Gewohnheit, durch Einschlag geschickt, und sie liegen, ich weiß nicht wo. Sobald die guten Exemplare kommen, erhalten Sie eins davon.
    Gestern ist meine Freitags-Gesellschaft wieder angegangen; ich werde sie aber wohl nur alle 14 Tage halten und dazu einladen lassen.
    Leben Sie recht wohl und grüßen Sie alles.

Weimar, den 15. Oktober 1796
Goethe

    Noch etwas: können Sie mir nicht über einen gewissen Hauptmann Rösch aus Stuttgart einige Nachricht geben? Vielleicht haben Sie ihn persönlich gekannt. Von seinen guten Kenntnissen sind wir informiert; es wäre jetzt hauptsächlich von seiner Person, seinem Charakter und übrigem Wesen die Rede.

265-266 An Goethe [227]

Jena, den 16. Oktober 1796

    Hier erfolgen endlich zwei Monatstücke Horen; gestern wurden sie mir von Leipzig geschickt. Der Buchhändler Böhme, an den ich die Almanache geliefert, schreibt mir zugleich den Empfang der zwei ersten Ballen, und daß alle Exemplarien, die ich vorrätig bei ihm niedergelegt (es sind etwa vierundvierzig, ohne die rohen Exemplare) schon vergriffen seien. Dies ist wirklich viel, denn es ging zugleich eine ansehnlich Partie Exemplare für mehr als fünfzehn Leipziger Buchhändler mit, die also nicht zugereicht hat. Es muß ein fürchterliches Reißen darum sein, und wir werden wohl auf eine zweite Auflage denken müssen.
    Böhme hat nun in einem dritten Ballen zweihundertfünfundzwanzig broschierte und wieder eine Anzahl roher Exemplare erhalten. Sobald er mir schreibt, daß diese über zwei Dritteile abgesetzt sei, so will ich zur neuen Auflage Anstalten machen lassen. Die Post ist so schlecht mit dem zweiten Ballen umgegangen, daß die Nässe einige Dutzend Exemplare verdorben haben soll. Es ist dies der Ballen, den Gabler gepackt hat; der meinige ist wohlbehalten angelangt.
    Sie müssen doch das neue Stück vom Journal Deutschland lesen. Das Insekt hat das Stechen wieder nicht lassen können. Wirklich, wir sollten es noch zu Tode hetzen, sonst ist keine Ruhe vor ihm. Gegen den Cellini hat er seinen bösen Willen ausgeübt, und um Sie zu schikanieren, die Stellen angepriesen, auch zum Teil extrahiert, die Sie ausgelassen haben usw. Von dem Aufsatz der Stael spricht er mit größter Verachtung.
    Mit Lavatern habe ich Sie vorgestern unnützerweise fürchten gemacht. Es ist sein Bruder gewesen, der hier war.
    Reichardt soll auch in Leipzig sein; Niethammer und Paulus aber haben ihn nicht gesehen. Schlegel ist noch in Leipzig, wo sich die Herzen vermutlich gegeneinander ergießen werden.
    Leben Sie recht wohl.
Schiller

    Eben erhalt' ich einen recht schönen Brief von Körner über den Almanach. Sie sollen ihn morgen erhalten, wo ich auch noch sechs Horen zu senden habe.

266 An Schiller [228]

    Beiliegendes Paket war schon vorgestern Abend beisammen, ich lege noch das Heft Cellini bei, welches indessen fertig geworden. Sie sehen es ja wohl noch einmal durch und lassen es abschreiben.
    Aus dem Propheten ist ein Prophetenkind geworden, das ich aber auch nicht zu sehen wünsche, da ich, nach dem erhabenen Beispiel des Judengottes, meinen Zorn bis in die vierte Generation behalte.
    Die drei ersten Gesänge des neuen Gedichtes sind nun so ziemlich durchgearbeitet, ich werde nunmehr an den vierten gehen. Alle vier zusammen werden etwa 1400 Hexameter haben, so daß, mit den zwei letzten Gesängen, das Gedicht wohl auf 2000 anwachsen kann.
    Auch werden Fisch und Vögel anatomiert, und geht alles nebeneinander seinen alten Gang. Leben Sie recht wohl, und lassen Sie mich bald hören, daß Sie leidlich gesund und fleißig sind.

Weimar, den 18. Oktober 1796
Goethe

266-267 An Goethe [229]

Jena, den 18. Oktober 1796

    Hier sende ich Ihnen Körners Brief, der bei der Unbedeutenheit und Flachheit des gewöhnlichen Urteils ein recht tröstlicher Laut ist. Senden Sie ihn mir, sobald Sie ihn gelesen, zurück.
    Ich habe mir nicht gemerkt, wie viel Exemplare der Horen von jedem Monat und jeder Sorte ich Ihnen gestern gesendet, und kann darum heute den Rest nicht nachsenden.
    Humboldts schrieben neulich, daß sie mit Ende dieser Woche von Berlin abreisen, sich unterwegs zehn Tage aufhalten und etwa den ersten November hier eintreffen würden.
    Von den Xenien habe weiter nichts erfahren. Schlegel, der wieder angekommen, war zu kurze Zeit in Leipzig, da er auch einen Abstecher nach Dessau gemacht, um viel erfahren zu können. Bei seiner Zurückkunft von Dessau, sagt er, hätten sie schon sehr in Leipzig rumort.
    Ich höre, daß man unter andern auch die Herzogin in W. unter der zierlichen Jungfrau versteht.
    Das Xenion: „Wieland! Wie reich ist dein Geist usw.“ halten einige für eine Satire auf Wieland und auf die neue Ausgabe! usf.
    Leben Sie wohl. Man unterbricht mich.
Schiller

267-268 An Schiller [230]

    Recht vielen Dank für den überschickten Körnerischen Brief. Eine so wahrhaft freundschaftliche und doch so kritisch motivierte Teilnahme ist eine seltne Erscheinung. Ich will gedachte Blätter noch einige Tage behalten, um verschiedne Gedichte, die ich noch nicht einmal gelesen habe, bei dieser Gelegenheit anzusehen. Grüßen Sie den Freund recht vielmals und danken ihm auch von mir; sagen Sie ihm etwas von meinem neuen Gedichte, und versichern Sie ihm, daß ich mich freue, es dereinst in seinen Händen zu sehen.
    Den Spitz von Giebichenstein müssen wir nun eine Weile bellen lassen, bis wir ihn einmal wieder tüchtig treffen. Überhaupt aber sind alle Oppositionsmänner, die sich aufs Negieren legen und gern dem, was ist, etwas abrupfen möchten, wie jene Bewegungsleugner zu behandeln: man muß nur unablässig vor ihren Augen gelassen auf und ab gehen.
    Hinter seinem Anpreisen der ausgelassenen Stellen des Cellini, fürchte ich, steckt was anders. Da er das Original hat, fürchte ich, übersetzt er die fehlenden Stellen und läßt das Ganze nachdrucken, denn er ist zu allem fähig. Ich will daher die zwei letzten Lieferungen, die ohnedem zusammen gehören, erst ins künftige Jahr geben, mein Manuskript indessen komplettieren und eine vollständige Ausgabe ankündigen; denn das Gefrage darnach ist sehr stark, und die zerstreute Lektüre im Journal macht schon jedermann ungeduldig.
    Wenn Sie an Boie schreiben, so fragen Sie ihn doch, ob er mir die englische Übersetzung, die ich von ihm durch Eschenburg habe, überlassen will. Ich will gern bezahlen, was sie kostet, und noch ein Exemplar meiner Übersetzung, wenn sie einmal ganz herauskommt, versprechen.
    Auf Humboldts Ankunft freue ich mich recht sehr. Sobald er da ist, besuche ich Sie wohl einmal, wenn es auch nur ein Tag ist.
    Vom siebenten und achten Stück haben Sie mir von jedem zwei Exemplare, eins auf bläulichem, eins auf gelblichem Papier geschickt. Ich bitte bald um die übrigen, denn man quält mich gewaltig darum.
    Leben Sie recht wohl; grüßen Sie alles, und sagen Sie mir bald, daß Sie eine neue Arbeit angefangen haben.

Weimar, den 19. Oktober 1796
Goethe

    Könnten Sie mir nicht ein fünftes Stück der Horen von diesem Jahr, von welcher Papiersorte es auch sei, noch überlassen?
    Mein Pack Dienstag mit der fahrenden Post ist doch angekommen?

269-270 An Goethe [231]

Jena, den 19. Oktober 1796

    Mit dem heutigen Paket haben Sie mir eine recht unverhoffte Freude gemacht. Ich fiel auch gleich über das achte Buch des Meisters her und empfing aufs neue die ganze volle Ladung desselben. Es ist zum Erstaunen, wie sich der epische und philosophische Gehalt in demselben drängt. Was innerhalb der Form liegt, macht ein so schönes Ganze, und nach außen berührt sie das Unendliche, die Kunst und das Leben. In der Tat kann man von diesem Roman sagen: er ist nirgends beschränkt als durch die rein ästhetische Form, und wo die Form darin aufhört, da hängt er mit dem Unendlichen zusammen. Ich möchte ihn einer schönen Insel vergleichen, die zwischen zwei Meeren liegt.
    Ihre Veränderungen finde ich zureichend und vollkommen in dem Geist und Sinne des Ganzen. Vielleicht, wenn das Neue gleich mit dem Alten entstanden wäre, möchten Sie hie und da mit einem Strich geleistet haben, was jetzt mit mehrern geschieht; aber das kann wohl keinem fühlbar werden, der es zum erstenmal in seiner jetzigen Gestalt liest. Meine Grille mit etwas deutlicherer Pronunziation der Hauptidee abgerechnet, wüßte ich nun in der Tat nichts mehr, was vermißt werden könnte. Stünde indessen nicht Lehrjahre auf dem Titel, so würde ich den didaktischen Teil in diesem achten Buch für fast zu überwiegend halten. Mehrere philosophische Gedanken haben jetzt offenbar an Klarheit und Faßlichkeit gewonnen.
    In der unmittelbaren Szene nach Mignons Tod fehlt nun auch nichts mehr, was das Herz in diesem Augenblick fordern kann; nur hätte ich gewünscht, daß der Übergang zu einem neuen Interesse mit einem neuen Kapitel möchte bezeichnet worden sein.
    Der Marchese ist jetzt recht befriedigend eingeführt. Der Graf macht sich vortrefflich. Jarno und Lothario haben bei Gelegenheit der neuen Zusätze auch an Interesse gewonnen.
    Nehmen Sie nun zu der glücklichen Beendigung dieser großen Krise meinen Glückwunsch an, und lassen Sie uns nun bei diesem Anlaß horchen, was für ein Publikum wir haben.
    Für die überschickten Rechnungen danke ich. Mit dem Geld werde ich's nach Ihrem Sinn arrangieren; ohnehin haben Sie für Ihren Anteil an dem Almanach ja 24 Louisdors gut, und noch mehr, wenn wir eine zweite Auflage erleben. Auch für den Cellini danke ich bestens. Das Schiff kann nun wieder flott gemacht werden. Vor einem Augenblick ist auch ein historischer Aufsatz von Funk angelangt.
    Den Major Rösch kenne ich, und noch spezieller kennt ihn mein Schwager. Außer seinen mathematischen, taktischen und architektonischen Kenntnissen, worin er aber sehr vorzüglich ist, ist er freilich sehr beschränkt und ungebildet. Er hat viel Gemeines und Pedantisches, und so wacker er als Lehrer ist, so wenig kann ihn sein übriger Anstand und sein Geschmack in einem Kreise, worin man Welt verlangt, empfehlen. Übrigens ist er ein braver und sanfter Mann mit dem gut zu leben ist, und seine Schwachheiten belustigen mehr als daß sie drücken.

Schiller

270-271 An Schiller [232]






Zurück zur Hauptseite
Einleitung und Inhaltsübersicht
Aus dem Jahre 1795
Aus dem Jahre 1797

Letzte Änderung am 16. Dezember 2025